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OUT OF THE BLACK
BOX Über
die Lust an der Entdeckung künstlerischer Prozesse
Bilder und Wörter.
Eine neue Kassette für die Sammlung Hartmann. Peter Marggraf: Die Angst
vor dem Weggehen Hans Georg Bulla: Um Haus und Hof
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Gerd Kolter
Erneut hat Peter Marggraf für
die Sammlung Brigitte und Gerhard Hartmann ein Werk geschaffen, das sowohl
produktionstechnisch als auch rezeptionsästhetisch verschiedenste Bereiche
umfaßt – diesmal keine Mappe, sondern eine Kassette, ein schwarzer Kubus mit
Klappdeckel in den Maßen 40 x 50 x 60 cm. Diese Form setzt uns auf die erste
Spur des Herangehens, eine Spur, die wir seit unserer Kindheit kennen und
hoffentlich später nicht verloren haben: Gemäß Christos altbekanntem Zitat
„Verhüllung ist Verheißung“ stellt sich sofort die Lust am Aufklappen, am
Auspacken ein – natürlich nicht, wie heute auf Youtube angesagt, als Lust an
einem Videofilmchen, welches das dröge „Unpacking“ des neuesten Smartphones
zeigt, sondern als sinnliches, haptisches Erlebnis, zunächst nur der Hülle,
einer Schachtel aus dickem, sorgfältig verklebtem Karton. Dann aber folgt
selbstverständlich die Entdeckerlust, deren unmittelbare Befriedigung jetzt
erst einmal aufgeschoben und durch das Warten gesteigert werden soll, denn
zunächst sind einige erklärende Worte zum Warum einer solchen und speziell
dieser Kassette nötig: Das Sammler-Ehepaar Hartmann verfolgt schon seit
über zehn Jahren das Ziel, „Bilder und Wörter“ zusammenzubringen, oder
anders gesagt, Poesie und Kunst zu enger, vielfältiger Verknüpfung
anzuregen, indem handschriftliche Texte von zeitgenössischen Autoren
verbunden werden mit bildnerischen oder skulpturalen Gegenstük-ken. Daraus
sind gerade durch die Zusammenarbeit mit Peter Marggraf in seiner San Marco
Handpresse schon einige künstlerische Objekte entstanden, das letzte zu Hans
Georg Bullas Hörstück „Märzwinter“, die alle in der Sammlung Hartmann in der
Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz zu finden sind. Wenn die
Entdeckerlust nun Stück für Stück befriedigt werden kann, wird deutlich, wie
sich dieser Grundansatz konkret in den verschiedenen Elementen der Kassette
umsetzt: Das abstrakte, übergeordnete Thema „Bilder und Wörter“ markiert
zwei Grundelemente der Kassette, die in Untertiteln noch einmal aufgefächert
werden: einmal „Aus der Welt der Bilder“, repräsentiert durch 13
Originalzeichnungen von Peter Marggraf zum Thema „Die Angst vor dem
Weggehen“, mit Kohlestaub und mit dem Finger auf Papier gerieben; zum
anderen „Aus der Welt der Wörter“, vertreten durch Hans Georg Bullas
Gedichtband „Um Haus und Hof“, dem Marggrafs Zeichnungen in Reproduktion
beigegeben sind. Der Band ist 2014 als Nummer 9 in Marggrafs Reihe „i libri
bianchi“ erschienen. Ausführliche Besprechungen von Isabel Kobus zum
Gedichtband und von Christine Kappe zu den Zeichnungen sind in den
„Berichten aus der Werkstatt“ der San Marco Handpresse im November 2014 zu
finden. So weit, so schön, aber nicht ganz neu – eine Synthese von
Poesie und Kunst, wie man sie so oder ähnlich kennt. Aber diese Tradition
wird gleich in mehrfacher Hinsicht erweitert, und zwar unter dem Signum des
Unikats: Unikate stellen selbstverständlich schon die Kohlezeichnungen dar,
die Marggraf für die Kassette in einer Mappe vereinigt hat, aber mit den
darunterliegenden Objekten fügt er jetzt noch weitere Originale hinzu, die
nicht nur eine dreidimensionale Komponente einbringen, sondern auch eine
chronologische: eine Bronzeplastik mit zwei vorangegangenen Gipsstudien,
eine monochrom gefaßt (mit Graphitpulver), die andere mit Temperafarbe
bemalt. Die sehr weich konturierten Figuren der Zeichnungen, sozusagen
gerade noch vorm „Weggehen“, vorm Verschwinden gerettet und dennoch
gefährdet, sie erhalten als Skulpturen eine überraschende, in der Bronze
auch kantigere Plastizität, während das Graphit der einen Gipsstudie noch
die Erinnerung an den Kohlestaub bewahrt und die zweite mit dicken
schwarzen, maskenhaft wirkenden Strichen Augen, Gesichtszüge und Brust der
Figur scharf markiert. In der endgültigen, der Bronzefassung, werden
Gesichtszüge hingegen nur noch schemenhaft angedeutet. Mit diesem „work in
progress“ von Peter Marggraf korrespondieren in erneuter Verschränkung auf
der Ebene der Wörter Hans Georg Bullas Original-Typoskripte seiner Gedichte
und Materialien zu ihrer Entstehung, liefern also auch eine Dokumentation
des kreativen Prozesses. Und wenn wir noch einmal zum Handwerklichen,
zur Anordnung der Elemente im Kubus zurückkehren, so zeigt sich diese
Verschränkung unter Beibehaltung der Eigenständigkeit auch hier: Wenn wir,
wie sich’s gehört, von oben nach unten auspacken, dann sehen wir zuerst über
die ganze Breite Peter Marggrafs Mappe mit den Kohlezeichnungen, darunter
zwei herausnehmbare Boxen, links die Bronzeplastik, sorgfältig eingebettet
in geschäumtem, mit schwarzem Papier überzogenem Material (wie auch später
die Gipsstudien), rechts den Gedichtband, darunter Marggrafs Druckernotizen
und schließlich H.G. Bullas Skript und die Materialien. Auf dem Grund der
Kassette befinden sich in zwei weiteren Boxen die beiden Gipsstudien.
Auch wenn der Begriff des Gesamtkunstwerks inzwischen zum Topos geworden
ist, in Bezug auf diese Kassette sei er doch noch einmal erlaubt, nicht nur
wegen der Vielfalt in der Einheit, sondern auch dadurch, daß die
Dokumentation der Entstehungsgeschichte die Endprodukte sozusagen wieder in
Bewegung bringt, zum Vergleichen, zum Sinnieren über mögliche Gründe für
Veränderungen, Korrekturen und Ergänzungen herausfordert.
Mehr
Informationen zu dem Buch "Um Haus und Hof" finden Sie hier
►
"Um Haus und Hof"
mit Gedichten von Hans Georg Bulla vorgestellt von Isabel Kobus
►
Die Abbildungen zum Thema "Die Angst vor dem Weggehen" von Peter
Marggraf
►
Christine Kappe hat ihre Gedanken zu den Kohlezeichnungen
aufgeschrieben
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