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Die Hülle als
Zeichen Über Peter Marggrafs neue
Zeichnungen „Die Angst vor dem Weggehen“
Von Christine Kappe
Die Angst vor dem Weggehen“ heißt Peter Marggrafs
neuer Zyklus von Zeichnungen, der sich – wie viele seiner anderen Arbeiten
auch – mit dem Sterben beschäftigt. Allein die Technik – Kohlestaub mit
Finger aufs Papier gerieben – beinhaltet das Thema in geradezu materieller
Weise. Man hat den Eindruck, wenn Wind, Regen oder Sonne auf das
Dargestellte treffen, „geht es weg“, löst sich auf, wird zerstört.
Der Tod wäre in der Logik der Bilder ein weißes
Blatt. Und die Leere, das Weiß, überwiegt in den Zeichnungen bei weitem.
Wirkt es aber bedrohlich? Nicht nur, denn das weiße Blatt ist auch immer ein
Anfang, und es ist der Grund, auf dem wir die Bilder sehen. Der dynamische
Moment dieser Zeichnungen liegt in ihrer Flüchtigkeit, die gleichzeitig eine
große Verletzlichkeit ausdrückt. Aber auch in den Strukturen des Papiers,
das nicht immer ganz weiß ist, sondern Spuren enthält, Falten und Flecken,
dem Schaffensprozess geschuldet.
Was ist zu sehen? Ein Mensch. Ganz. Und in
Ausschnitten. Männliche, weibliche Figuren. Nicht jung. Alterslos. Ohne
Haar. Die Figuren sind geschrieben, nicht gemalt, und in der Mehrzahl wie
eine Schrift nicht ausgemalt, nicht von innen gefüllt, aber durch mehr oder
weniger dunkle Stellen und Andeutungen von Schatten dreidimensional, nicht
verwunderlich bei einem Zeichner, der auch Bildhauer ist.
Manche Figuren (Protagonisten möchte man sagen,
denn man liest in den Zeichnungen wie in einem Buch) halten sich an sich
selbst fest, an Arm, Kopf, Rumpf, eine klammert sich sogar an einen
unsichtbaren Stuhl, ein Gegenstand, der für ihn im Tod sinnlos sein wird.
Andere machen eine Geste oder greifen ins Leere, winken oder berühren eine
Scheibe, sind nur im Profil zu sehen. Einige wirken ruhig, scheinen nicht
gegen den Tod anzukämpfen; andere schon, drücken Trauer und Selbstaufgabe
aus. Sind es
Einstellungen zum Tod? Erkenntnisse vom Tod, die sie ausdrücken? Als
Betrachterin bin ich selbst gefordert. Ich sehe nicht, was die Figur sieht,
ich sehe nur die gezeichnete Figur. So lasse ich mich also auf Assoziationen
ein und sehe auf einmal mehr – Bilder, wie ich sie aus den täglichen
Nachrichten kenne. Und plötzlich kommt in die eher ruhig wirkenden Bilder
ein willkürliches, brutales Element: Sich mit dem Tod abzufinden, ist das
eine. Plötzlich von ihm überrascht zu werden, zum Tode verurteilt zu werden
oder sich im Krieg zu befinden, ist etwas anderes. Die eine Figur könnte
sich an den Oberschenkel fassen, weil sie dort soeben von einer Gewehrkugel
getroffen wurde; die andere könnte den Kopf in den Händen halten, weil sie
einen Mitmenschen nach einem Bombenanschlag sterben sieht.
Die Menschen sind im
Sterben allein, mit sich, in diesem Moment. Egal, durch was der Tod
ausgelöst wurde. Dieses Individuelle des Sterbens drückt sich in Peter
Marggrafs Technik aus. Seine Bilder entstehen nah am Körper: Er malt sie mit
dem Finger, er benutzt keine dicke Ölfarbe, sondern dünnen Kohlestaub,
sozusagen Asche, einen Rest, feinste Atome, wie die, mit denen wir, nach
unserem Ableben, wieder in die Welt eingehen.
Mich fasziniert diese Einfachheit. Dieses sich
selbst Nachzeichnen, sich selbst Vergewissern. Das Skizzenhafte,
Konzentrierte wirkt fast, als wäre unter Zeitdruck gearbeitet worden. Oder
unter einem großen Schmerz. Als ginge es hier mehr um Fragen als um
Antworten. Um das Eingeständnis, daß hier Unfassbares nicht zur Gänze
ausgedrückt werden kann. Um Möglichkeiten eines anderen Endes als des ewigen
Nichts. Letzten
Endes wissen wir ja nicht, was mit uns geschieht. Letzten Endes meinen wir
mit „ich“ das Zentrum eines Bewusstseins, das es dann nicht mehr gibt. Oder
doch? Oder in anderer Form? Was bleibt? ist die Frage; oder besser: Bleibt
was? Und damit kommen wir immer wieder auf die Frage zurück: „Was ist der
Mensch?“ Eine zutiefst spirituelle Frage, jenseits einer bestimmten
Religion. Das
„Nachzeichnen“ in Peter Marggrafs Bildern hat auch etwas Liebevolles, etwas
wie Streicheln. Mein Sohn liegt neben mir auf dem Sofa und schläft. Ich sehe
in der Dämmerung nur seine Umrisse. Auch die Zeichnungen bestehen aus
Umrissen. Natürlich ist die Hülle meines Sohnes nicht das Wesentliche,
sondern der Eindruck, die Liebe, die Nähe in meinem Inneren. Die Hülle als
Zeichen für das Wesen des Menschen.
„Was ist der Mensch“ wäre ein möglicher Titel für
Peter Marggrafs Arbeiten. Der Titel „Die Angst vor dem Weggehen“ enthält
jedoch eine Dreidimensionalität, die in den Arbeiten enthalten ist und die
mich anfangs verwirrt hat. Was ist gemeint: Die Angst vor dem
Für-immer-Weggehen? Die Angst vor dem Weggehen bei einer Trennung oder einem
Umzug? Die Angst vor dem Weggehen des anderen, also die Angst, sich von
einem geliebten Menschen verabschieden zu müssen, durch Trennung oder Tod?
All das ist gemeint und spiegelt sich in den Zeichnungen.
Es ist eigentlich die Angst, daß nichts bleibt,
und der setzt Peter Marggraf diesen Zyklus entgegen, ohne Angst vor dem
weißen Blatt Papier.
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