|
STARTSEITE
I
AKTUELLES
I
PETER
MARGGRAF
I
BILDHAUER UND ZEICHNER
I
SAN MARCO HANDPRESSE
I
VENEDIGPROJEKT
I
I
LIBRI BIANCHI
I
KONTAKT
I libri bianchi Band 9
Hans Georg Bulla
UM HAUS UND HOF
Gedichte
Erschienen im Frühling 2014, gesetzt aus
der
Frutiger. Im Buch sind 13
Kohlezeichnungen von Peter Marggraf wiedergegeben. Preis:
25 Euro zuzügl. Versand
Bilder und Wörter
Eine Kassette für die Sammlung Brigitte und Gerhard Hartmann mit
Gedichten von Hans Georg Bulla
►
„Im Ohr ein Atem“
Gedichte von Hans Georg Bulla
und Zeichnungen von Peter Marggraf im neuen Band „Um Haus und Hof“
Von Isabel Kobus
Nach dem Erzählband „Zurückwinken“ und dem
Hörstück „Märzwinter“ hat Peter Marggraf zum dritten Mal Texte von Hans
Georg Bulla in der Reihe „i libri bianchi“ veröffentlicht: „Um Haus und Hof“
heißt der Band, der in Bullas ureigenes Feld führt: die Lyrik.
Wie schon die anderen
Bände der Reihe, in denen auch Texte von Heinrich Heine, Georg Büchner und
Rainer Maria Rilke erschienen sind, hat Peter Marggraf „Um Haus und Hof“ auf
Büttenpapier digital gedruckt, in Fadenheftung von Hand gebunden und mit
einem hochwertigen Schutzumschlag versehen. Die „weißen Bücher“ sind mit
Sorgfalt erstellte bibliophile Kunstwerke, die dem Buchliebhaber zu einem
günstigen Preis zugänglich gemacht werden. Charakteristisch ist auch in
diesem Band die einzigartige Verbindung von Text und bildender Kunst:
Marggrafs 13 Zeichnungen in diesem Buch sind nicht Illustrationen, sondern
in Form und Sinn eigenständig und aufeinander bezogen sowohl in der
außergewöhnlichen Zeichentechnik – Kohlestaub mit dem Finger auf Papier
gerieben – als auch in der formalen und inhaltlichen Stringenz der
Darstellung; zugleich entsteht aber auch eine Verbindung zwischen diesen
Bildern und den 39 Gedichten des Bandes – eine Verbindung, die nicht
einschränkend wirkt, sondern auf einer ästhetischen Harmonie beruht, aus der
sich die Assoziationen des Betrachters frei entwickeln können.
„Aber vermutlich ist ein Mensch nur in zwei
Räumen wirklich zu Hause: im Haus der Kindheit und im Grab.“ Diesen Satz der
jungen mexikanischen Essay-istin Valeria Luiselli stellt Hans Georg Bulla
seinen Gedichten als Motto voran und öffnet damit die thematische Dimension,
in die seine Gedichte führen. Die Räume der Kindheit tauchen hier ebenso auf
wie die Krisen des menschlichen Lebens, die das Suchen nach einem inneren
Zuhause zu einer existenziellen Frage werden lassen: Krankheit und Schmerz,
Bedrohung und Demütigung, Alter und Einsamkeit. Dabei ist die Kindheit nicht
das Zuhause, nach dem man sich in solchen Krisenzeiten heimsehnen würde – im
besten Fall noch ermöglicht sie, „in den Dreck der Welt etwas Leben“ zu
malen („Kinderschrift“), im schlimmsten überwiegt der Schmerz, die „wunde /
Zunge wie im Reliquiar“ („Samstag-nachmittag“).
Und doch: Da ist Licht.
Kein helles Strahlen, das sich etwa in einzelnen, hoffnungsvolleren
Gedichten manifestieren würde, sondern vielmehr ein kontinuierlicher
Schimmer, der aus der Düsternis hervordringt. Daß dies Hans Georg Bulla
gelingt, verdankt sich seiner poetischen Fähigkeit, auch die schlichtesten
Räume und Gegenstände in eine eigene Stimmung zu tauchen und in größter
Knappheit der Sprache eine „perspektivische Distanz“ (Gerd Kolter) zu
schaffen, die den Blick des Lesers öffnet für die tieferen Schichten dieser
Lyrik. So etwa, wenn die melancholische Erinnerung an den beschwerlichen
Schulweg mit Klara über das „dünne Eis“ in der Betrachtung endet: „ihre
Tasche war schwerer / als meine, weil bunter gefüllt. / Eine Spange im Haar
/ hatte Klara“ („Weg in die Schule“). Oder wenn der schwerkranken Mutter
„eine leichte Decke“ gebracht wird: „eine / über die schmal der Mond /
gewandert ist“ („Eine Karte an die Mutter“). Oder wenn inmitten von
Krankheit und Müdigkeit eine Verbindung zur Katze und damit zur eigenen
Innerlichkeit entsteht: „Sie bleibt still, versucht / dich anzusehen. / Du
hörst die Stimmen, / glaubst dem Fieber / und den Katzenaugen“ („Nicht
allein“).
Überhaupt ist das Verbundensein mit der sterblichen Kreatur ein Motiv, das
sich durch diese Gedichte zieht. Die „portugiesischen Hunde“ beispielsweise
stellen am Beginn von „Im Kreis“ eine Bedrohung dar („Sie werden fassen /
nach dir“), die, obwohl nicht aufgehoben, am Ende doch in eine existenzielle
Gemeinschaft mündet: „Du hast den gleichen Atem / in dir, die gleiche Erde,
/ die Handvoll Staub, an einen / falschen Ort geworfen.“ Das Bewußtsein, ein
Teil der sterblichen Welt zu sein, schafft Schmerz und Angst, aber auch eine
neue Wahrnehmung des Ich als Teil des lebendigen Ganzen. So kann selbst der
Stein zum „sterblich Ding“ werden, das „eine Seele haben“ will: „du mußt ihm
/ deinen Atem geben / du mußt hauchen / kannst du hauchen“ („Visite“).
Vor allem die
ersten und letzten Gedichte der Sammlung, aber auch der gesamte Tenor des
Bandes verdeutlichen die menschliche Existenz als einen Weg, der zu gehen
ist. Damit greift Bulla zurück auf seine frühe Gedichtsammlung
„Weitergehen“, die 1980 beim Suhrkamp Verlag in Frankfurt erschienen ist.
Während dort der Schwerpunkt noch auf der Mühe und dem Willen lag, in das
Leben hin-einzugehen, zeichnet „Um Haus und Hof“ den Weg des Lebens klarer
als einen Weg zum Tode. In ihrer Gesamtheit bieten die Gedichte einen fast
schon erzählerischen Zugang zu den verschiedenen Möglichkeiten, ihn zu
bewältigen. Religion wird als eine dieser Möglichkeiten genannt und in
Zweifel gezogen („glaub deinem Glauben / nicht“ in „Andacht“), andere sind
die schon genannte Verbindung zur Kreatur sowie zu anderen Menschen (wobei
das „wir“ mancher Gedichte eher wie beiläufig wirkt), das Eintauchen in die
Natur, die Auseinandersetzung mit dem eigenen (kranken oder alternden)
Körper („Mach dem Tumor in / deinem Schädel keinen / Ärger, er hat immer
recht“ in „Tröste dich“) und nicht zuletzt die Erinnerung an die
wesentlichen Dinge des eigenen Lebens. Schon das erste Gedicht („Auf dem
Weg“) deutet dabei eine Grundhaltung an, die ein Weitergehen trotz aller
Brüche und Krisen möglich macht: „ein Annehmen, ein Akzeptieren – und ein
Loslassen“, so Bert Strebe in seiner Besprechung (HAZ vom 17. Juli 2014).
Diese Haltung
prägt die meisten der Gedichte – mal als kaum zu bewältigende
Herausforderung („Dem fahren die Hände / aus den Taschen, die / Seele aus
dem Leib, der / vornüber stürzt, auf Staub“ in „Aufs Wort“), mal als
unabdingbare Notwendigkeit („Von dem einen Pflock weiter / zum nächsten. Das
Gras / war so grün auf dieser / und grüner auf der anderen / Seite“ in
„Verschwinden“), als Verneigung vor der Vergänglichkeit (das Wespennest in
„Mit Sorgfalt“ als „Haus mit vielen Wohnungen / [...] / hielt so lange es
halten mußte“) und nicht zuletzt als eine innige Erfahrung, in der sich das
Ich in nahezu meditativer Weise auf sich selbst zurückzieht und sein eigenes
Verlöschen annimmt („in den Augen bleiben / die Augen, im Ohr ein / Atem
[...] / ein Stein in der Hand / in beiden Händen jetzt“ in „Am Wasser“).
Es fällt auf, daß die Gedichte in diesem Band –
anders als in den meisten früheren Sammlungen von Bulla – formal recht
unterschiedlich gestaltet sind. Dies läßt die eigenen Bedeutungsebenen der
Gedichte stärker hervortreten. Während beispielsweise harte Zeilenbrüche und
die konsequente Verwendung von Interpunktion in „Kinderschrift“ die
verzweifelt-fragmentierte Wahrnehmung des Kindes hervorheben („rot drückt /
die Tinte durch die Schul- / heftseiten, die Fehler / zählen doppelt“),
spiegelt der Minimalismus von Gedichten wie „Visite“ das achtsame Anblicken
schlichter Alltagsdetails wider, wie man sie aus traditionellen
ostasiatischen Lyrikformen kennt. So beleuchtet die formale Individualität
letztlich den inneren Zusammenhang der Gedichte – und den poetischen Weg,
den Bulla geht und den er schon in der Doppeldeutigkeit des Titels weist:
„Um Haus und Hof“ öffnet nicht nur den Raum der menschlichen Identität aus
ihrer Keimzelle heraus, sondern verweist zugleich auf eine Art von Ende: Wer
auf diese Weise „um Haus und Hof“ gebracht ist, hat die Zwänge seiner
Existenz losgelassen – und mag den weiteren Lebensweg bis hin zum Grab in
Gelassenheit gehen.
Eine innere Kohärenz weisen auch die Zeichnungen
von Peter Marggraf auf und vervollkommnen damit den Band sowohl ästhetisch
als auch inhaltlich. In Posen von Schmerz und Angst, aber auch Gelassenheit
und Besinnung gewinnt die Figur der Zeichnungen – es handelt sich offenbar
um die gleiche, weibliche Gestalt in vielen Bildern – ein eigenes Profil,
das auf einen individuellen Lebensweg hinweist und zugleich durch die karge,
formal strikte Gestaltung eine existenzielle Bedeutung erreicht. Die
außergewöhnliche, mit dem Finger geriebene Zeichnung der Konturen verleiht
der Figur ein Wesen, das sowohl die brüchige Existenz des Menschen andeutet
als auch ein Verschwimmen im Ganzen und damit die Möglichkeit des Loslassens
im Sinne der Bullaschen Lyrik.
So wird dieser Band aus der San Marco Handpresse
einmal mehr zum Beweis dafür, was das ingeniöse Zusammenwirken von Literatur
und bildender Kunst in sorgfältiger Konzeption und Umsetzung als
Buchkunstwerk vermag.
Mehr
Informationen zu dem Buch "Um Haus und Hof" finden Sie hier
►
|