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Zu den Arbeiten von Peter
Marggraf
Ludwig Zerull
In Peter
Marggrafs Plastiken, Zeichnungen und Radierungen wird man das Fertige
vergebens suchen, auch wenn die Terracotta seiner Skulpturen unweigerlich
technische Perfektion bedarf, um überhaupt (be-)stehen zu können.
Ich habe über Peter Marggraf vor etwa einem
Jahrzehnt schon geredet und geschrieben und kann nun über seine
Menschenbilder von damals im Vergleich mit den heutigen die Veränderung, die
Entwicklung beschreiben.
Seine stelenartigen Figuren hatte damals auch
etwas Symbolisches. Sie waren Symbol für etwas Menschliches. Gewiß, auch sie
waren, aufgrund der collagehaften Flick-Technik (Stück an Stück gesetzte
Körperhaut aus Ton-Fladen) nicht idealisierte, sondern schon den zerstörten
Menschen symbolisierende Figuren.
Aber eben "Symbole für.
Heute dagegen haben seine Halb-Figuren, Torsi,
Figuren Individualität. Sie stehen nicht mehr für etwas, sondern "für sich
selbst".
Peter Marggraf arbeitet zwar wie damals immer noch
mit den selben Vokabeln von körperlichen Versatzstücken: Dieselben
Nasenpartien, Mundpartien, Wangenpartien, Handpartien liegen als
Gipsabdrücke in seinem Atelier. Doch die Modellierung in den feuchten Ton
hinein, das Herausarbeiten der plastischen Form, die Handschrift im wahrsten
Sinn des Wortes, ist individueller geworden. Nicht mehr vasenhaft starr sind
seine Figuren, sondern zum Beispiel die angedeutete Ausbreitung der Oberarme
gibt ihnen Leben und plastische Fülle. Das Gefäßhafte seiner Figuren hat er
aufgebrochen. Dieses Wort, wenn Sie dem Wort "aufgebrochen" nachspüren,
macht klar, dass es in Marggrafs Kunst nicht um das Heile, das Edle und das
Schöne geht. Auch bei seinen früheren "archaischen" Spulpturen nicht.
Es unterläuft dem gebildeten und beredten Künstler
im Gespräch damals wie heute - und das ist sprachlich symptomatisch für
seine Absicht - plötzlich ein Wort, das in keinem Lexikon der Hochsprache
steht, aber für ihn zum quasi Fachausdruck geworden ist.
Er sagt: "Ich detsche ein" - und dieses brutale
Wort aus der Anfriffs- und Drohsprache besagt, dass Marggraf, möglicherweise
mit Gewalt, seinen Gesichtern die entstandene Ebenmäßigkeit nimmt, um das
heile Menschenbild, an das er nicht glaubt, nicht aufkommen zu lassen.
Der vor zwei Jahren gestorbene englische Maler
Francis Bacon, dessen Haltung zur Malerei und zum Menschenbild sich durchaus
mit Marggrafs Haltung dazu vergleichen lässt, hat, wenn ihm seine
Menschenbilder zu gelungen erschienen, mit nassen Farbklumpen auf die
Gesichter geworfen, um sie wieder aufzubrechen. Das ist wie "Ich detsche
ein".
Bacon hat auch geschrieben: "Ich war schon immer
sehr berührt von Bildern, die mit Schlachthäusern und Fleisch zu tun hatten.
Für mich gehören sie stark zu dem ganzen Thema der Kreuzigung.
Es hat in der europäischen Kunst so viele tief
beeindruckende Darstellungen der Kreuzigung gegeben, dass sie ein
hervorragendes brauchbares Gerüst geworden ist, an dem man alle denkbaren
Gefühle und Eindrücke aufhängen kann. Ich habe nie versucht zu schockieren.
Man braucht nur die Augen offen zu halten und ein bisschen über die
unterschwelligen Dinge Bescheid zu wissen, um zu begreifen, dass alles, was
von mir zu machen war, diese Seite des Lebens (des Schrecklichen) nicht
übertrieben hat."
Peter Marggraf malt nicht, macht keine
Kreuzigungen, aber die Grundstimmung in Bacons Text lässt sich meines
Erachtens auf die Aussage über das Menschliche in Marggrafs Arbeit
übertragen.
In den letzten Jahren hat Marggraf viel
gezeichnet, radiert und bibliophile Bücher gemacht. Er zeichnet und radiert
ganz konzentriert. Wenige sparsame Striche, Linien, Spuren erscheinen auf
dem Blatt oder auf der Radierplatte. Sind sie gesetzt, hat die Arbeit
Bestand. Sonst muß der Künstler sie vernichten. Nachbessern gibt es nicht.
Ob eine "mittelalterliche Madonna" oder ein
"Märthyrer-Typ" das Ergebnis ist, entscheidet sich erst später.
Die Sparsamkeit seiner Linien geht auf
Entkörperlichung aus, auf Vergeistigtes.
"Das Alleinsein" ist, so Marggraf, das Ziel. Auch
wenn er literarisches Angehen seines Menschenthemas verneinen will, steht
doch bei diesem "Alleinsein" eine Gestalt wie Raskolnikow Pate, dem er eine
Serie gewidmet hat. Manche dieser Zeichnungen erinnern mich an nervig-böse
sezierende Zeichnungen des frühen Kokoschka.
Und da liegt wieder der Zusammenhang mit seinen
skelettartig aufgebauten Skulpturen, bei denen er manchmal bewusst das
Unfertige stehen lässt.
Rede anläßlich der Ausstellung "Peter Marggraf -
Skulpturen und Zeichnungen" im Kunstverein Neustadt am Rbgbe. 1993
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