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DEN ATEM TAUSCHEN
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Den Atem tauschen.
2004. 20,5 x 18 cm . Vernismou und aquatinta |
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Ludwig Zerull
Ein
Gedicht der zeitlebens dem Tod ganz nahe stehenden Dichterin Ingeborg
Bachmann steht am Anfang einer Reihe neuer Zeichnungen von Peter Marggraf.
Das einen Jean-Paul Sartre- Titel aufnehmende Gedicht "Das Spiel ist aus"
ist ein langes ganz leichtes Gedicht, so leicht wie ein Kinderlied, und doch
ist es ein Totentanz. Es endet mit den Zeilen "Vater und Mutter sagen, es
geistert im Haus, wenn wir den Atem tauschen."
"Den Atem tauschen" nennt hiernach Peter Marggraf
seine Zeichnungsserie mit Graphit und Acryl. Blätter, 70x100cm groß, die
jeweils einen filigran gezeichneten Tod in wie tänzerisch wirkender Weise
mit einer Menschenfigur, die durch den robusteren Strich vielleicht
Lebenswillen behauptet, in Eins zu bringen suchen. Blätter, die das seit
Jahrhunderten in der Kunstgeschichte angeschlagene Thema vom Tanz mit dem
Tod auf ruhige, nahe, keineswegs dramatische Weise variieren. In Gatow war
Marggraf vor zwei Jahren vom Westwendischen Kunstverein eingeladen, an einer
großen Ausstellung "Totentänze vom Mittelalter bis heute" teilzunehmen. Und
schon vor sechs Jahren hatte der Bildhauer im Auftrag des Kunstvereins
Neustadt an der dortigen Liebfrauenkirche einen zehnteiligen auf Zinkplatten
gezeichneten Totentanz angebracht.
"Den Atem tauschen", die von Ingeborg Bachmann
gebrauchte Metapher für die Nähe, den Kuß, das Verhältnis mit dem Tod ist
schon seit länger als zwanzig Jahren eine für Peter Marggrafs Skulpturen
bezeichnende Haltung im Umgang dieses Künstlers und der Betrachter mit
seinen Werken gewesen. Denn die aus einzelnen, zusammengefügten Teilen
entstandenen Tonskulpturen ließen bei genauerer Betrachtung in den Details
immer die Deutung als Totes oder als besonderen Beweis des Abdrucks, der
Abnahme von Leben, zu.
Die künstlerische Beschäftigung von Peter
Marggraf mit dem Tod hat keiner besser in Worte gefasst als ein anderer
Dichter, der mit dem Künstler befreundete Hans Georg Bulla aus der Wedemark.
Bulla beschreibt des Künstlers Haltung wie einen Wiederbelebungsversuch: "Da
aber sitzt einer vor einem Scherbenhaufen und versucht, trotzig und
unbeirrbar wie ein Archäologe, noch einmal eine Figur zusammenzusetzen,
dieses Abbild, diesen Menschen wieder heil und ganz zu machen." Und
resultiert etwas später im Text: "aber er wird nicht fertig, er kann nicht
fertig werden, ein Heilemachen ist hier und jetzt nicht möglich."
Dieses "Hier und Jetzt", das den Menschen immer
wieder, mag er es mehr oder weniger bewusst erfahren, an den Zeitpunkt
bringt, "den Atem tauschen" zu wollen, zu müssen - das ist Marggrafs Thema
immer gewesen. Für Marggraf gibt es keinen heilen Menschen, auch keinen
"ausgesparten" Menschen, der in manchen Spielarten von Kunst im letzten
Jahrhundert einfach nicht mehr vorkam, es gibt nur den geschundenen
Menschen, den leidenden, den, der mit dem Tod lebt.
Der Künstler zeigte ihn uns, wenn er teils
minutiöse Abdrücke vom Menschen mit Ergänzungen nach des Menschen Bild
zusammenfügte. Er zeigt ihn uns, wenn er Torsi, ebenso hilflos wie
aufbegehrend, aus Wachs knetet oder in Bronze abgießen lässt.
Und dabei nützt sicher der Hinweis auf zwei
Maler, deren großartige Werke in den letzten Jahren in viel gesehenen
Ausstellungen neue Bedeutung erlangt haben: Francis Bacon und Lucian Freud.
So, wie sie diesen geschundenen Menschen darzustellen verstanden, ist für
mich die Skulptur von Peter Marggraf immer noch kongenial.
Dem Künstler ist Venedig bekanntlich zum zweiten
Ort seines Schaffens geworden. Und auch die dort naheliegenden Anspielungen
vom Untergang und vom "Tod in Venedig" außer acht: Seine dort entstehenden
Zeichenbücher und sein Umgang mit dem Nicht-mehr-Gebrauchten, den alten
Druckermaterialien, mit denen er in Zusammenarbeit mit Schriftstellern
großartige bibiophile Buchwerke herstellt, gehören in den selben
Zusammenhang: der Künstler setzt der "Unmenschlichkeit, die die
Vergänglichkeit immer mehr leugnet", sein "stilles Leben" mit dem Tod, sein
Menschenbild entgegen.
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