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MENSCHENBILDER
Jürgen Weichardt
Die Arbeitsweise, Menschenbilder
aus Ton zu formen, ist so unüblich nicht, und in der Gegenwart sind mir
mehrere Künstler bekannt - gerade aus Polen (Jan Kucz, Hajdecki,
Wojoiechowski), die Ton der Bronze vorziehen und die die Reize zu nutzen
verstehen, die von Ton und Terrakotta herüberkommen: Glatte, aber stumpfe
Flächigkeit mit einer tief wirkenden Schicht der Verletzbarkeit: überhaupt
die Fragilität des Objektes und weiter die hautähnliche Schichtigkeit, die
formal den Corpus gliedert, technisch den Bau des Körpers und der Figur
nachvollziehen lässt.
Peter Marggraf folgt zunächst den klassischen Themen der Plastik: Er formt
Menschengestalten im Stehen, Sitzen, Liegen, Torsi vor allem, zuweilen mit
Gesten - sich bekreuzigend, die Arme verschränkt - auch nur Köpfe mit
ausgeprägter Profillinie.
Im Unterschiede zu diesen letztgenannten Arbeiten wirkt der Kopf der
größeren Plastiken geschrumpft¸der Hals ist eingezogen, der Kopf hat seine
Kontur verloren, doch das Gesicht ist in seinen wesentlichen Zügen noch
erkennbar. Spätestens hier erkennt der Betrachter, dass Peter Marggraf
Figuren menschenähnlicher Art nicht nach, sondern parallel zur Natur
geschaffen hat, mit eigenen Proportionen, mit eigenen Spannungen und mit
einer besonderen Ausdruckskraft; Gestalten, in denen nicht die anatomische
Richtigkeit beherrschend ist - sowenig wie in altägyptischen oder
vorderasiatischen Skulpturen und Reliefs, sondern die Vorstellung des
Künstlers.
Dazu gehört die deutlich herausgearbeitete Schichtigkeit der Gestalten,
besonders der Gesichter: Die Überlagerung von mindestens zwei Ebenen ergibt
sofort das Thema der Maske, der Uneigentlichkeit des Gesichtes. Dessen
Ausdruck ist in fast allen Arbeiten ähnlich: Marggraf vermeidet das Extreme,
er zeigt einen ruhigen, nach innen versunkenen, einem Buddha ähnlichen
Ausdruck, der - wie ich meine - gleichermaßen Gelassenheit, Leidensfähigkeit
und Milde ausstrahlt. Dazu passen die eher passiv gesetzten Haltungen der
Arme und Beine, aber auch das Torsohafte, das vielen Kompositionen anhaftet
und das die Verletztheit zum Ausdruck bringt. Die Aktualität dieser
Ton-Figurationen ist in ihrer stileigenen Modernität und in ihrer allerdings
nicht näher beschriebenen Beziehung zur Geschichte zu sehen.
Die statuarische Strenge assoziiert gedankliche Beziehungen zur
vorderasiatisch-ägyptischen Bildhauerei, wo bekanntlich auch Ton Verwendung
fand. Diese bewusst angespielte Nähe ist natürlich nicht als Nachahmung zu
sehen - formal hat Peter Marggraf Anklänge vermieden -, sondern als
Reflektion auf einen Ursprung der Kunst, auf den Mythos, der von einem sich
ergebenden, nicht revoltierenden Menschenbild beherrscht wird. Auch Torso
und Verletztheit der Plastiken weisen in diese Richtung. Die Faszination der
mythischen Zeit, die der Künstler gleich dem Historiker und
Religionswissenschaftler empfindet, beruht wesentlich auf einem anderen
Zeitbewusstsein, das uns heute verloren gegangen ist, in der Kultur der
mythisch-archaischen Völker aber konstituierend war - der Kreislauf von
Werden und Vergehen, der der Entelechie des Christentums alternativ
entgegensteht. Peter Marggraf hat mit seinen Tonplastiken die Tür zu solcher
Reflektion geöffnet und damit die Bereitschaft geweckt, hinter die Stille,
Strenge und Bescheidenheit, hinter der Ausdruckskraft seiner bildhauerischen
Kompositionen mehr zu sehen als eine zeitnahe, formalästhetische Figuration.
Deren Bedingungen hat der Bildhauer natürlich auch eingehalten und erfüllt,
doch die geistige Überhöhung seiner Werke erfolgt unter dem neuen
historischen Gesichtswinkel.
Rede zu Eröffnung der Ausstellung "Menschenbilder" im
Kunstverein Springe, 1986
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