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Ihr müßt alle in dieses Tanzhaus
Eine Totentanzdarstellung für die Sammlung Hartmann in Bregenz

 

 
Totentanz. Ein Leporello zu einem Gedicht von Clemens Umbricht. 2010. 700 x 35 cm

 

 

Wolan wolan ir herren und knecht
Springet her by von allem geslecht
Wie junck wie alt wie schone ader kruß
Ir mußet alle in diß dantzhus.

aus dem Totentanz von Heinrich Knoblochtzer

 

Von Antonia B. Uthe

Der Tod hat viele Namen. Man nennt ihn „Den Herrn des Rades. Den Meister der Brücke“. Auch Freund Hein ist gebräuchlich. Sein wahrer Name wird beschönigt, verhüllt. „In Diplomatenkreisen nennt man ihn Gevatter Tod“, behauptet Clemens Umbricht in seinem Gedicht „Totentanz 2006“. Bei Umbricht ist von „der Achse des Bösen“ die Rede, von „Folter“ gar. Hier drückt der Totentanz nicht mehr nur unversehenes Sterben aus, sondern scheint machtpolitischem Kalkül unterworfen.
Für die Sammlung Hartmann in der Bregenzer Landesbibliothek hat Peter Marggraf eine Arbeit zum Motiv des Totentanzes erstellt. Es handelt sich um eine Mappe, die vierzehn Blätter birgt, welche der Künstler zu einem sieben Meter langen Leporello zusammengefügt und gefaltet hat. In acht kolorierten Bleistiftzeichnungen bringt er verschiedene Varianten der Todesbegegnung zum Ausdruck. Seinen Zeichnungen auf zwei Blättern vorangestellt ist Umrichts Gedicht „Totentanz 2006“, vom Lyriker in roter Tinte und mit eigener Hand aufgeschrieben. Dabei kommentieren Marggrafs Abbildungen das Gedicht nicht, eher resultieren sie aus Assoziationen, die mit den persönlichen Vorstellungen des Künstlers zu einem eigenständigen Werk verschmelzen. Eine Art „Paarung“ entsteht, in der die Existenz des einen das andere beeinflußt und umgekehrt.
Das Sujet des Totentanzes wird seit dem späten Mittelalter immer wieder aufgegriffen und umgestaltet, um Todes- und Lebens-, Gesellschafts- und Weltdeutungen zu transportieren und zu spiegeln. Der Totentanz als Leporello, auf dem unterschiedliche Tanzformationen gleichzeitig gezeigt werden, spielt mit ursprünglichen Totentanzdarstellungen. Die ersten Abbildungen, wie der „Basler Totentanz“ aus dem 15. Jahrhundert, entstanden auf Friedhofsmauern. Sie galten zunächst als Mahnung zu einem bußfertigen Leben. Damit der Tod nicht als „Gast zur Unzeit“ komme im unbußfertigen Moment. Jeweils ein Vertreter der verschiedenen Stände wird vom Tod in das „Tanzhaus“ geführt. Das von Pestepidemien, „dem schwarzen Tod“ heimgesuchte Spätmittelalter, läßt den tanzenden Tod in Gestalt des Knochenmanns populär werden. Der „jähe“ Tod, der jeden treffen kann in jedem Moment, ist ständig präsent und sucht seine Opfer quer durch die Stände. Gesellschaftliche Verhältnisse geraten ins Wanken, denn Sterben heißt, die bestehende Gesellschaft, die Ordo, zu verlassen. Der Totentanz thematisiert nicht mehr nur das Jüngste Gericht, sondern das individuelle Gericht, das nach dem Tod über dem Einzelnen abgehalten wird. Dem Tod sind alle gleich.
„Du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein“, sagt der arme Mann in dem Grimmschen Märchen „Der Gevatter Tod“, nachdem er den Teufel und sogar Gott als Paten abgelehnt hat, weil dieser nur dem Reichen gäbe und den Armen hungern lasse. Der Totentanz behält seine Faszination bis in die Gegenwart, wobei seine didaktischen Funktionen abgelöst werden durch Gesellschaftskritik oder Gesellschaftssatire. Auch ästhetische Fragen werden verhandelt. Selbst in einer säkularisierten Gesellschaft wird der Tod, als eine der großen Sinnfragen der Menschheit, immer wieder durch moderne Varianten des Totentanzes dargestellt, wobei sich im Tanzgeschehen seine Unausweichlichkeit und Zwanghaftigkeit offenbart.
„23 Vertreter verschiedener Stände begegnen dem Tod“: In der ersten Zeile seines Totentanz-Gedichts bezieht sich Clemens Umbricht ausdrücklich auf die 23 Totentanzszenen des Luzerner Malers Jakob von Wil aus dem frühen 17. Jahrhundert. Doch sind Umbrichts Protagonisten als Repräsentanten eines bestimmten Berufsstandes nicht mehr auszumachen. Sie sind beliebig geworden, austauschbar. Geschäftsleute, die sich zum Stehlunch treffen, um ihre Geschäfte abzuwickeln oder ihre Zeit in luxuriösen Wellnesshotels zu vertreiben. Der Tod ist immer einer von ihnen, einer der die Macht hat, der „sofort einen Krieg entfachen“ könnte irgendwo in einem anderen Teil der Welt. Das Sterben ist unsichtbar und anonym geworden. Es findet in den Sterbezimmern der Krankenhäuser statt oder als Kriegsberichterstattung vor dem Fernseher. Und mit dem „schnellen medialen Tod“, „zu Tausenden“, „läßt sich weltweit nur schlecht tanzen“.
Peter Marggraf nimmt dem Tod diese Beliebigkeit. In seinen Abbildungen läßt er seine Protagonisten als Individuen dem Tod unmittelbar gegenübertreten. Der Künstler zeigt fühlende und leidende Geschöpfe, die den Tanz mit dem Tod wieder aufnehmen. Ihre Konturen hat er mit dem Bleistift skizzenhaft festgelegt und mit karminroter Gouachefarbe übermalt. Marggrafs Figuren tragen keine Attribute, die einen Stand verkörpern, ja nicht einmal Kleidung. Auch ein räumlicher Kontext fehlt. Durch den breiten Pinselstrich erhalten ihre Konturen einen Spielraum, als könnten die Figuren tatsächlich in Bewegung geraten, um mit dem Tod zu tanzen. Auf der ersten Abbildung nähert der Tod sich einem Mann, auf der näch-sten ist der Mann ihm zugeneigt. Seine Hand streift das Bein des Todes, als sei er neugierig. Das nächste Bild ist um neunzig Grad gekippt. Der Tod scheint zu unterliegen, macht sich klein; oder er macht sich breit, will sein Opfer küssen. Eine Frau taucht auf. Der Tod steht zwischen Mann und Frau, wie zum Gruppenfoto. Einmal trägt der Tod ein weißes Hemd. Er verbirgt den Menschen darunter, gleich einer Mutter, die ihr Kind unter ihrem Mantel zu schützen sucht. Der Körper der Figur scheint sich aufzulösen, nur ihr Kopf ist noch klar erkennbar.
Die einheitliche Farbgebung, die auch den Raum außerhalb der Körper skizziert, läßt die Figuren durchlässig erscheinen, als fände ein Austausch zwischen Innen- und Außenwelt statt, der die Grenzen verwischt. Obwohl der Tod den Figuren gegenübersteht, wird der Eindruck vermittelt, daß der Tanz eher in ihrem Inneren stattfindet. Das Sterben ist eine persönliche Angelegenheit, die sich nicht in Hospize und Sterbezimmer verbannen läßt. Dem Tanzhaus kann eben niemand entkommen.

 

 

Clemens Umbricht

TOTENTANZ 2006

 

„... und unten zerschellt das Gerippe.“

Goethe, „Der Totentanz“

 

1

23 Vertreter verschiedener Stände begegnen dem Tod.
Sie treffen ihn im Rahmen ihrer Geschäfte
zu einem Stehlunch. Man neigt sich einander
einzeln oder in Gruppen in lockerem Gespräch zu.
Wie mit jedem Präsidenten ist mit ihm nicht zu spaßen;
er könnte sofort einen Krieg entfachen.

2

In Diplomatenkreisen nennt man ihn Gevatter Tod.
Den Herrn des Rades. Den Meister der Brücke.
In dieser Konstellation vergleichbar mit Freund Hein
von der Achse des Bösen. Dem schönen Jüngling. Der Sanduhr.
Der Farbe Schwarz. Gemeint ist hier weder der Tod
noch der, der mit ihm tanzt, sondern die Folter.

3

Man trifft sich in diesem netten Hotel mit fünf Sternen,
trägt gelbe Sonnenbrillen, räkelt sich auf der Chaiselongue
und genießt die Aussicht auf das bleigraue Meer.
Überall ruhige Musik, keinerlei Hektik, alles überlegen ewig,
die Hölle bis auf weiteres nicht mehr als ein Zeitvertreib
für Leute wie sie, unsterblich und mit Stil.

4

Anderswo, im Fadenkreuz von Infrarot-Stilleben,
sind die alten Schreckensbilder umso realer
.Wenn das Opfer weiß, was geschehen ist, leuchten die Knochen
bereits hell wie Wüstenstaub. Mit dem schnellen medialen Tod
läßt sich weltweit nur schlecht tanzen, zu Tausenden,
mit den alten Holzschuhen und der Sense in den Händen.

 

Anmerkung: Die Zahl 23 bezieht sich auf die 23 Szenen des Totentanzes des Luzerner Malers Jakob von Wil (gest. 1618/1619).

 

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