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EINERSEITS - ANDERERSEITS
Michael Stoeber
In diesem Jahrhundert, vor allem
in den letzten 50 Jahren, haben wir beobachten können, daß sich das
Kunstkarussel schneller als je zuvor gedreht hat, schneller als in all jenen
Zeiten, zu denen wir uns angewöhnt haben, Kunstgeschichte zu schreiben. In
diesem Getriebe der Trends und Bewegungen, Ideen und Ideologien ist Peter
Marggraf so etwas wie eine solitäre Figur. Unbeeinflußt von Markt und Mode,
hat dieser monomanische Einzelgänger seine künstlerischen Exerzitien
vorangetrieben. Dabei galt und gilt sein gestalterisches Bemühen der
menschlichen Figur. Sie ist sein Thema, seitdem er bei Professor Rogge in
Hannover sein Kunststudium aufgenommen hat. Schon als junger Student hat er
sich quer zum herrschenden Zeitgeist in der Kunst gestellt. In einer Zeit,
da die Ungegenständlichkeit, der Tachismus und die Ecole de Paris, das
Seelenstenogramm und und der radikal abstrakte Kunstentwurf Triumphe
feierten, hat Peter Marggraf sich streng an die Figürlichkeit, an das
traditionelle Kunstgebot der Mimesis und an die Wiedererkennbarkeit seines
plastischen Vorwurfs gehalten. Einerseits. Andererseits kann in keiner Weise
die Rede davon sein, es bei diesem Künstler mit einem quasi photographischen
Abbildner, einem naturalistischen Gestalter zu tun zu haben. Bei allem
bildnerischen Vermögen, beherrscht die plastische Figur doch immer ein
Moment der Verfremdung und der höchst individuellen Formung. Marggraf wirft
einen absolut subjektiven Blick auf die menschliche Figur, der seine
Plastiken unverwechselbar macht, sodaß wir hier von einer
Handschriftlichkeit im Gestalten sprechen können, die schon immer die
Signatur gelungener, figurativer Plastik war. Das erste signifikante
Moment, das dem Betrachter der Plastiken von Peter Marggraf ins Auge fällt,
sind die malträtierten Köpfe seiner Figuren. Risse, Schritte und
Quetschungen deuten auf Verletzungen hin. Die verwüsteten Gesichter tragen
die Spuren all dessen, was Menschen Menschen antun können. Es ist, als seien
alle Greuel dieser Zeit über sie hinweggegangen. Sie stehen vor uns wie
trotzig Überlebende, die sich entgegen allen Widrigkeiten behaupten in einem
"See von Plagen" - wie Shakespeares Hamlet sagen würde - demütig im Leiden
wie der biblische Hiob oder kämpferisch wie ein angeschlagener Boxer, der
nicht aufgibt. Bei aller detailgerechten Formung wirken die Antlitze
dieser Figuren doch nie wie Porträts. Dennoch ist ihre relative
Gleichgestimmtheit weit entfernt von jeder Uniformität und hat eher etwas
mit der Kunst des Weglassens und Hervorhebens zu tun. Es geht um das
Weglassen individualisierender Charakteristika und Attribute und um das
Hervorheben einer bestimmten überindividuellen Signatur des Seins. Marggrafs
Köpfe sind nackt, der Künstler beschränkt sich auf das prononcierte
Herausarbeiten von Mund, Nase und Augen. Die Stirn seiner Figuren geht
zumeist auf im Enturf des Schädels, die Ohren werden als gestalterisches
Element vernachlässigt. So sind wir geneigt, eher von einer Allegorie oder
Allegorese des Menschseins als vom Menschen zu sprechen. Es geht nicht um
einen spezifischen Charakter, eine individuelle Personendarstellung, sondern
eher um die bildnerische Herausarbeitung einer menschlichen Haltung dem
Leben gegenüber. Diese Haltung indes variiert mit jeder Plastik. Der
Beschränkung auf den gestalterischen Vierklang gewinnt Marggraf ein reiches
Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten ab. Einerseits betreibt er anatomische
Reduktion, andererseits erzielt er mimische Vielfalt. Die Haltungen, die
Marggraf über seine Plastiken vorführt, sind wie Antworten, die der einzelne
den "Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks" entgegensetzt - noch
einmal Hamlet - und sie reichen von fast religiöser Demut, mit der jemand
auf die Verletzungen des Lebens reagiert, über fragendes Erstaunen bis zur
kämpferischen Attitüde und einem vitalen, zornigen Trotz, mit dem der Mensch
den Lebenskampf auf sich nimmt und das scheinbar absurde Leiden annimmt.
Haltung wird auch im Repertoire der Körpersprache sichtbar; sei die Figur
nun von archaischer Statuarik oder gestisch bewegt gebildet. Das gilt vor
allem für das Spiel der Hände und Arme. Sie sind ergeben vor die Brust
gekreuzt, abwehrend erhoben, strecken sich hilfesuchend zum Himmel oder
bleiben trotzig kämpferisch an die Körperseiten gepreßt. Ein erster
Zugang, ein erster Eindruck von diesen Plastiken: das geschundene, verletzte
Antlitz des Menschen unserer Zeit, der je nach Temperament und Mentalität
demütig, flehend, ergeben, trotzig oder kämpferisch auf die Zumutungen des
Lebens reagiert. Schauen wir ein zweites Mal hin! Das Mosaik der Tonlappen,
aus denen sich der Eindruck der fragmentierten und zerstückelten Gesichter
und zum Teil auch der Körper herleitet, könnte auch ganz anders gedeutet
werden. Wirken diese Tonlappen nicht auch wie Bandagen, nicht um empfangene
Wunden zu decken, sondern um einem Skelett Strucktur und Fleisch zu geben?
Aus weichem, nachgiebigen Ton baut Peter Marggraf den Körper aus Fragmenten
auf analog zum uranfänglichen Schöpfungsvorgang. Der Künstler als
Schöpfergott ist eine alte Kunstmetapher. Nur der Mensch, den es im 20sten
Jahrhundert durch die Kunst zu erschaffen gilt, kann keiner mehr sein, der
ein intaktes, gottgleiches Antlitz trägt. Der optimistische
Fortschrittsglaube an Vollkommenheit und Unversehrtheit ist uns und dem
Künstler längst abhanden gekommen. Genau wie der aufklärerische Impetus, der
vor zwei Jahrhunderten noch die Welt bewegte und an die Verwirklichung des
Guten durch fortschreitende Einsicht glaubte.Aufklärung als Ausgang aus
selbstverschuldeter Unmündigkeit. Mit diesem Glauben im Hinterkopf war es
noch möglich, strahlende Porträts von einzelnen heroischen Überwindern zu
schaffen, von denen man glaubte, sie würden den Gang der
Menschheitsgeschichte positiv vorantreiben. Dem Künstler heute eignet eher
die Überzeugung einer vorgängig ruinierten Existenz. Wo es in den Worten des
Philosophen und Kulturpessimisten Cioran, das Beste ist, nie geboren zu
werden und das zweitbeste früh zu sterben, kann der zeitgenössische Künstler
nur noch mit einem trotzigen Trotzdem zum lädierten Leben stehen. Er sammelt
die Scherben menschlicher Existenz auf und setzt sie in einem Akt
mitmenschlicher Solidarität immer wieder neu zusammen. Das ist seine Haltung
gegenüber dem Leben in dieser Zeit. Der fundamentale Glaubensverlust an die
Hoffnung einer Wendung zum Besseren, an die Möglichkeit rationaler Lösungen
in einer zunehmend irrationaler sich gebärenden Welt, wofür die Schlagzeilen
der Zeitungen jeden Tag aufs Neue die Belege schaffen, dieser fundamentale
Glaubensverlust ist wohl auch die Ursache, daß der Kopf des Menschen das
gestalterische Terrain, wo der Plastiker Marggraf die größten Verletzungen
ortet. Jahrhundertelang galt der Symbiose, dem gelingenden Einssein von Kopf
und Körper, von Gefühl und Geist, galt der Verherrlichung dieses Ideals die
Anstrengung der Kunst. Dieser Glaube ist uns definitiv verloren gegangen.
Die Köpfe von Marggraf denken und lenken nicht mehr, sondern sie sind
invalid. Aber sie widerstehen. Das ist vielleicht die tröstliche
Einsicht, die man aus der Betrachtung dieser Arbeiten gewinnt. Von
Augustinus stammt die Überzeugung "credo quia absurdum", ich glaube, gerade
weil es widersinnig ist. Marggrafs Figuren existieren wie zum Trotz. In
unserer Zeit sprach Hemingway davon, daß der Mensch zwar besiegt, aber nicht
zerstört werden könne. Um diesen unzerstörbaren Kern scheint es Peter
Marggraf zu gehen. Ums Starksein im Schwachsein. Ganz so wie der fragile Ton
sich bei einer Temperatur von über tausend Hitzegraden zu fast
unzerstörbarer Solidität härtet. Er kann zerbrochen werden, aber nicht
zerstört. Tonscherben finden wir auch heute noch aus den Jahren der
frühesten Menschheitsgeschichte. Dieser trotzige Wille zur Selbstbehauptung
scheint sich auch in der tiefbraunen, martialisch wirkenden Farbe des
holländischen Mangantones zu spiegeln, den Marggraf benutzt und der im
Oxydationsbrand das robuste Kolorit von Eisen angenommen hat. Dieser
unzerstörbare Kern als Essenz des Menschseins ist auch, so will mir
scheinen, Motiv des zeichnerischen Werkes von Peter Marggraf. Diese Arbeiten
auf Papier leben ganz aus der Linie heraus. Was hier vom Menschen bleibt
jenseits aller individualisierenden Attribute, ist die konturierende Linie,
eine Art vergeistigter Umriß. Die Erscheinung wird zur Silhouette, die sich
scharf gegenüber dem umgebenden Leerraum der Fläche abhebt.
Unzerstörbarkeit ist ein eher singuläres Phänomen, und so ist die
Vereinzelung ein weiteres Merkmal der Marggrafschen Figuren. Immer bleiben
sie allein mit sich, auch wenn der Künstler im plastischen Werk die Figuren
manchmal, eher selten, zur Gruppe ordnet. Es scheint, als komme die Kraft
zum Weiterleben nicht aus dem Miteinander oder Füreinander, sondern aus dem
Fürsichsein, womit das Werk ein soziologisches Faktum speichert, das
gleichfalls dieses Jahrhundert charakterisiert. Unnötig hier die Frage nach
richtig oder falsch zu stellen. Wenn Marggraf auf seinen Arbeiten auf Papier
zwei Personen aufeinandertreffen läßt, dann im Totentanz. Und da geht es um
die innige Umarmung, die zum Tode führt, um die Bruderschaft von Eros und
Thanatos. Ein pessimistisches Oeuvre fürwahr, indes nicht für die starken
Einzelgänger unter uns.
Rede zur Eröffnung von Peter Marggrafs Ausstellung im
Gebäude der Region Hannover in Hannover
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