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NACH VENEDIG
Der Künstler und
Büchermacher Peter Marggraf und die Serenissima
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Plakatwand am Campo San Giacomo del’ Orio,
Venezia. 2005) |
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Peter Piontek
Die erste Begegnung mit Venedig war verwirrend.
Eine „erregende Fremdheit“ sei zwischen ihn und die Dinge getreten, als er
zum erstenmal in der Statione Santa Lucia aus dem Zug gestiegen sei und den
Canal Grande gesehen habe, hat Peter Marggraf notiert. So beginnen
Liebesgeschichten. Und tatsächlich, der norddeutsche Bildhauer und
Büchermacher ist der Serenissima in der Lagune verfallen, seit er sie 1968
als Student zum erstenmal besucht hat. Jedes Jahr kommt er für ein paar
Wochen hierher, um zu arbeiten, um zu schauen, sich mit der Kunst früherer
Jahrhunderte auseinanderzusetzen, die letzten Überreste alter traditioneller
Handwerke aufzuspüren, um zu lernen und sich auszutauschen oder einfach nur
die Atmosphäre dieser einzigartigen Stadt auf sich wirken zu lassen.
Peter Marggraf braucht Venedig als Ort, wo er
sich ganz auf sich und seine Kunst zurückziehen kann, spätestens seit er
1999 hier für zwei Monate als Stipendiat im Deutschen Studienzentrum gelebt
und gearbeitet hat. Deshalb wäre er hier gerne mehr als nur ein Gast, der
sich bei Bekannten oder in Ferienwohnungen einmietet. So entstand die Idee
seines Venedig-Projektes. Sie ist originell, doch keineswegs ungewöhnlich im
Zeitalter des Sponsoring: Marggraf sucht 150 Förderer, die ihn mit einer
einmaligen Summe von je 500 Euro unterstützen, so daß er sich eine eigene
Werkstatt in Venedig einrichten kann. Als Gegenleistung erhalten die
Sponsoren fünf Jahre lang 33 Prozent Rabatt auf alle Bücher und Mappen der
San Marco Handpresse – benannt nach dem Schutzheiligen Venedigs –, die
Marggraf seit 1996 in Bordenau bei Neustadt am Rübenberge/Nieder-sachsen
betreibt; sie können sich für jeden neugeworbenen Förderer ein von Marggraf
gedrucktes Buch aussuchen, erhalten jeweils zum Jahreswechsel eine Graphik
des Künstlers und – eine wirklich einmalig schöne dreibändige Ausgabe von
Rilkes „Stundenbuch“, der Marggraf eine Mappe mit zehn Radierungen von
eigener Hand beigefügt hat. Blätter, die Motive aus Rilkes Gedichtzyklus
aufgreifen oder sich auf einzelne Verse beziehen.
Wo bleibt bei soviel Gegenleistung das
Sponsoring, mag man sich da fragen. Und in der Tat wiegt der Rilke-Schuber
die Fördersumme in mehr als einer Hinsicht auf. Das Unternehmen rechnet sich
nur, weil Peter Marggraf, wie bei seinen anderen Büchern auch seine Arbeit
nicht mitveranschlagt. Er hat die 139 Gedichte des „Stundenbuch“ auf der
Linotype aus der Garamond gesetzt, auf seinem eigenen Handtiegel einen Teil
der auf 150 Exemplare limitierten Auflage gedruckt und bindet die Bände
sozusagen „on demand“. Die drei Bücher der Sammlung sind farblich
voneinander unterschieden, haben feste Pappdeckel und jenes eigenartig vom
Din-A4 leicht zum Quadrat hin verschobene Papiermaß, das Peter Marggraf
bevorzugt, seit er von Mappenwerken zum regelrechten Buchdruck übergegangen
ist.
Den Anstoß dazu gab der Erwerb der bereits
erwähnten Linotype aus dem Jahr 1928, jener Maschine, die Anfang des vorigen
Jahrhunderts die Arbeit der Setzer revolutionierte, um nur 50 Jahre später –
mit der Erfindung des Fotosatzes – bereits so gründlich überholt zu sein wie
bald die gesamte überkommene Buchdrucktechnik. Peter Marggraf hingegen liebt
diese Technik und die spürbare Materialität des Hochdrucks. Er gehört nicht
zu Objektkünstlern unter den Büchermachern, obwohl zu seinen
eindrücklichsten Werken ein einzigartiges Mappenwerk gehört, in dem er für
Ingeborg Bachmanns Gedichtzyklus „Lieder auf der Flucht“ die kongeniale Form
gefunden hat, eine Serie großformatiger Frottagen von großen Holzlettern,
die wie in Stein gemeißelt wirken. Die Niedersächsische Landesbibliothek in
Hannover hat die Mappe angekauft. Auch viele andere Werke Marggrafs befinden
sich in öffentlichen Sammlung in Europa und den USA.
Peter Marggraf macht Bücher, hand-werklich so
solide und perfekt wie möglich. Dabei ist er eigentlich Bild-hauer, hat in
Hannover, Hamburg und Braunschweig studiert. In lebensgroßen Tonskulpturen
hat er die ihm gemäße Ausdrucksform gefunden. Es sind allesamt
Einzelfiguren, denen etwas Meditativ-Existenzielles, nach innen Gezogenes
eignet. Und es ist wohl kein Zufall, daß auf dem Weg ins Untergeschoß seines
Bordenauer Hauses, wo seine Werkstatt ist, ein Plakat von Alberto Giacometti
hängt. Das Interesse an der Situation des Menschen teilt der Plastiker
Marggraf mit dem Büchermacher. Er hat Kafka gedruckt, Trakls „Seba-stian im
Traum“, Beckett und zuletzt Ingeborg Bachmanns „Anrufung des großen Bären“,
ehe er, angeregt durch die Bekanntschaft mit dem Lyriker Hans Georg Bulla,
begann, auch unveröffentlichte Texte von lebenden Autoren herauszubringen.
„Warum mache ich Kunst?“ diese Frage habe er sich
immer wieder gestellt, sagt Peter Marggraf. Er suche nach Antworten auf
zentrale menschliche Fragen. „Ich will Auskunft über mich erhalten, die
bildnerischen Mittel sind dabei vollkommen egal“, da steht für ihn eine
Plastik oder Zeichnung gleichrangig neben einem Buch. Als Drucker ist er vor
allem Leser, lebt mit den Texten, die er setzt, langsam Zeile für Zeile.
Genauso bewegt er sich durch Venedig, die Stadt,
die für ihn in allen Bereichen ein ungemein menschliches Maß hat: „Alles muß
erlaufen werden, oder errudert. Diese Stadt ist nicht für das Auto geplant“,
so Marggraf. Und so läuft er oder geht, selbstverständlich abseits der
ausgetretenen Pfade der Touristen, versucht sich dem Tempo der Stadt
anzupassen, ruhig zu werden, läßt sich treiben. An anderen Tagen stellt er
sich Aufgaben, widmet sich bestimmten Themen, kehrt immer wieder zu
Tintoretto zurück, versucht das Gesehene so intensiv wie möglich
aufzunehmen. Aber er zeichnet nie direkt vor den Bildern, sondern erst
hinterher, wenn er wieder zuhause ist. Seine Arbeitsweise vergleicht er mit
der Bewegung von jemandem, der im Nebel auf etwas zuhält. So taste er sich
zeichnend oder modellierend zur menschlichen Figur vor: „Die wird immer
klarer. In dem Moment, wo sie ganz greifbar wird, ist der Spuk vorbei. Dann
muß ich aufhören“.
Peter Marggraf und Venedig haben ein gemeinsames
Thema: Vergänglichkeit und Tod, wie das nicht anders sein kann bei einem
Künstler, der sich unablässig an der conditio humana abarbeitet, und einer
Stadt, die dem unaufhaltsamen Verfall preisgegeben ist und der immer wieder
einmal das baldige Ende durch Wasser oder Touristenströme prognostiziert
wird. Der Tod hat in Venedig sein Recht und sein eigenes Reich, die
Friedhofsinsel San Michele. Hier hat der Künstler etwas gefunden, was seiner
Arbeit eng verwandt, aber genau entgegengesetzt ist: Die porzellanenen
Plaketten mit den Bildnissen der Verstorbenen, die langsam verwittern, so
daß die Photographien immer unkenntlicher werden. 3.000 Digitalaufnahmen hat
Marggraf bereits von solchen Platten gemacht, für sein „Venezianisches
Totenbuch“, von dem er noch nicht genau weiß, wie es einmal aussehen soll.
Peter Marggraf „ist Venezianer, nicht von Geburt
oder Herkommen, sondern von Beruf und Berufung her“, hat Hans Georg Bulla
anläßlich einer Ausstellungseröffnung mit Büchern Marggrafs in der
Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover gesagt. Ob er sich seinen
Traum, in Venedig ansässig zu werden, erfüllen können wird, ist noch nicht
sicher. Er selbst ist zwar skeptisch, aber unangestrengt-optimistisch, was
die Realisierung seines Venedig-Projekts betrifft. In einem halben Jahr hat
er immerhin 17 Sponsoren gefunden. Und irgendetwas werde sich auf jeden Fall
ergeben, meint er. Wenn es nicht zu einer eigenen Werkstatt reicht, dann
vielleicht zu einem ganzen Jahr in Venedig.
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