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CRUCIFIGE, CRUCIFIGE EUM!
Eine Ikone menschlichen Leids
Ein neues Kassettenwerk von Peter Marggraf für die Sammlung Hartmann
Von Peter Piontek
In vorbereitenden Zeichnungen hat Peter Marggraf
sich an das Sujet und an sein Thema herangetastet. Sein Arbeitsthema lautete
„Es ist vollbracht”, so hat er es notiert. Nicht den in seiner Verzweiflung
vom Kreuz herab Gott anklagenden Christus habe er darstellen wollen, sondern
jenen des Johannes-Evangeliums, der sein Leid bis zum Ende trage. In den
Vorzeichnungen zur Altarfigur wird diese Entscheidung nachvollziehbar. Da
gibt es die Geste der Verzweiflung ebenso wie den starken, furchtlosen
Gekreuzigten.
Die Zeichnungen zeigen aber auch, wie der Künstler nach und nach alles
Erzählende wegläßt, wie z. B. den Kreuzesbalken, der im zweiten Bild noch
deutlich zu erkennen ist. Er taucht erst im letzten Blatt wieder auf, nun
aber nicht länger identifizierbar. Es könnte ebenso Stein sein, ein Fels, an
dem die Figur hängt. Den Bordenauer Bildhauer interessiert nicht eigentlich
die biblische Geschichte, ihn interessiert der Gekreuzigte als Ikone
menschlichen Leidens. „Christus beginnt mich erst in dem Moment zu
beschäftigen, wenn er einsam im Garten Gethsemane wacht”, sagt Marggraf,
„als Verkörperung und höchste Steigerung des Leids eines Menschen.” Im
übrigen ist die Figur austauschbar, könnte einer der Geschundenen sein, die
uns so scheinbar unabänderlich in den Nachrichten begegnen, seien es die
Gefangenen in Abu Ghraib oder andere Gefolterte irgendwo auf der Welt.
Es könnte auch Prometheus sein, mit dem sich Peter Marggraf immer schon
beschäftigt hat. Und doch ist es vielleicht nicht ganz zufällig, daß sich
der Künstler in seinen jüngsten Zeichnungen und Plastiken zu der Figur des
Gekreuzigten vorgetastet hat. Die senkrechte Linie, die bei seinem Altar für
den Andachtsraum einer hannöverschen Behinderteneinrichtung vom Stamm des
Kreuzes übriggeblieben ist, stehe für ihn durchaus für die Beziehung des
Menschen zu Gott. Und Transzendenz sei für ihn ein Kriterium guter Kunst,
hat Marggraf in einem Interview des NDR gesagt (s. Berichte aus der
Werkstatt 2008).
Der Torso des Gekreuzigten in der Kassette für die Sammlung Hartmann ist der
zweite Guß der Figur, die Marggraf für den genannten Altar geschaffen hat.
Er hängt nicht mehr wie dort auf einer großen rostbraunen Stahlplatte,
sondern liegt eingebettet zwischen roten Pappklötzen, als sei er in die
Straßenschluchten einer modernen Metropole geworfen worden. Der Titel des
Werkes nimmt dann aber doch wieder auf die Bibel Bezug. Er entstammt
ebenfalls dem Johannes-Evangelium bzw. Arvo Pärts Oratorium „Passio”.
„Crucifige, crucifige eum”, kreuzige ihn, lautet die Antwort der Menge auf
Pontius Pilatus’ Frage, was er mit diesem Jesus machen solle. Die Menge will
Blut sehen, während Pilatus vorgibt, seine Hände in Unschuld zu waschen...
Das Motiv des Kreuzes bzw. der Kreuzigung hat ja
nicht nur Jahrhunderte christlicher Kunst bestimmt, sondern taucht auch in
der Moderne immer wieder auf, man denke nur an Arnulf Rainer oder Josef
Beuys. Mit einer gewissen Berechtigung könnte man sagen, der Gekreuzigte sei
Peter Marggrafs Thema von Anfang an. Leidende, unter ihrem Menschsein
Leidende sind schon seine großen Terracotta-Figuren der 1980er – 90er Jahre.
Seine Kruzifix-Darstellungen geben diesem Generalthema eine neue Dimension.
Die gestalterischen Mittel dafür hat der Künstler in den letzten Jahren in
seinen Zeichnungen und zahlreichen kleinen Wachsskulpturen erprobt. Dabei
kehrt in den Abdruck der Hand, der Finger bewahrenden Oberflächen der
gekneteten Figurinen das lockere, mitunter wie flüchtig hingeworfenes
Liniengeflecht der Zeichnungen wieder, mit dem Peter Marggraf die Anatomie
der Dargestellten umspielt, Ideen festhält und Raum für Assoziationen
schafft.
Mit drei Mappen zu Dichterhandschriften war Peter Marggraf bereits in der
Sammlung Gerhard Hartmanns in der Bregenzer Stadtbibliothek vertreten.
„Crucifige, crucifige eum” mit der Figur des Gekreuzigten in Bronze nebst
Vor- und Nachzeichnungen ist in diesem Frühjahr dazugekommen. Es war eine
richtig große Kiste, die Peter Marggraf im Juni auf den Weg in den Süden
geschickt hat: In einer roten Kassette („rot, wie eine Wunde, jedenfalls
irgendwie fleischlich”, so des Künstlers Assoziation zur Farbe) der Torso
des Gekreuzigten nebst einer Mappe mit den acht Vorstudien und vier
nachträglichen Zeichnungen zur Skulptur.
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