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Ein immerwährendes Lied der Freude
Henry Miller Das Lächeln am Fuße der Leiter
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Peter Piontek
Können wir uns August
beim Torjubel vorstellen, den Mund weit aufgerissen, das Gesicht im Triumph
verzerrt, auf den Knien über den Rasen schlitternd oder für die Fans mit den
Händen ein Herz formend, für die Liebste oder das Jüngste, dem er dieses Tor
„widmet“ – oder bei einer anderen dieser angelernten, abgeguckten
Möchtegern-Großmannsgesten? Nein, natürlich nicht. August hätte dafür wohl
allenfalls ein Lächeln übrig oder würde noch eine Spur trauriger
dreinschauen. Er
sucht etwas ganz anderes, er will den Menschen die Freude schenken, eine
„stetig sich neu erweckende …, neu sich speisende … Freude“. Und August
sucht sich selbst – aber das kommt später, da hat er den Zirkus schon
verlassen, in dem er seine Triumphe gefeiert hatte und allabendlich mit
irren Beifallsstürmen überschüttet worden ist. Der Beifall, das Lachen
„verschärfte sich zur Qual seiner Ohren“, und als es gänzlich unerträglich
wird, gerät August aus der Bahn, findet aus der Trance nicht mehr heraus,
die Teil seines Tricks sind, mit dem er das Publikum begeistert.
Besessene auf der Suche
August verläßt den
Zirkus, steigt aus der Rolle aus, in der er die Freude nicht gefunden hat,
eine Freude, die ihren Ausdruck und ihren Grund noch nicht kennt. Er fängt
noch einmal von vorne an. So beginnt sein Weg der Selbstfindung.
Für Peter Marggraf
gehört Millers Clown in eine Reihe mit Figuren wie Prometheus, Raskolnikow
und Sonja oder wie der Christus oder der Protagonist in der „Schachnovelle“,
Menschen, Figuren, die immer wieder sein Interesse wecken: „Besessene, auf
der Suche nach sich selbst.“
Er hat dem Text Bilder beigegeben, die die Figur
„in zirsensischem Umfeld“ zeigen, aber er habe keine Zirkusbilder gemacht,
verwahrt sich der Künstler. Anders als für Henry Miller und die Künstler im
Paris der 1920er, 1930er Jahre – Rouault, Chagall, Max Jacob, Seurat – hat
die Welt des Zirkus für Peter Marggraf keinen besonderen Reiz. Miller hat
seine Clownsgeschichte für Fernand Léger geschrieben. Bekannter als dessen
Zirkusbilder sind heute die Illustrationen von Joan Miró, die auch in der
deutschen rororo-Taschenbuchausgabe der Erzählung wiedergegeben sind. Der
Clown ist für Miller in einer Zeit, in der die Welt mehr denn je „voller
Leiden und Angst“ ist, einer jener Menschen, die unbefleckt bleiben vom
allgemeinen Elend: „Sie haben die Freiheit gewonnen … Sie sehen mit anderen
Augen… Sie erleben den Augenblick in seiner vollen Größe, sie strahlen, und
dieses Strahlen rund um sie ist ein immerwährendes Lied der Freude.“ So
schreibt der Autor im Epilog seiner Erzählung, ebenfalls nachzulesen in Band
Nr. 47 der I Libri Bianchi der San Marco Handpresse.
Es ist wohl kaum ein Zufall, daß Peter Marggraf
uns sein Bild dieses im Wortsinne ekstatischen Menschen nicht mit eigenen
Mitteln zu geben versucht, nicht als Zeichner, der sich von Arbeitsfolge zu
Arbeitsfolge um das Bildnis des Menschen bemüht, des leidenden, fragenden,
den er gerne auch in Begleitung des Todes darstellt. Peter Marggraf hat für
Millers Geschichte sieben Collagen geschaffen. Die Clownsfiguren hat er in
Fotografien zum Thema gefunden und um sie herum mit wenigen Blei- und
Buntstiftstrichen eine Szenerie angedeutet, die hier und da auch ein Theater
sein könnte. Aber spätestens wenn Pferde oder Artisten hinzukommen, sind sie
eben doch eindeutig im Zirkus angesiedelt, dort wo „August und seine Kumpane
jeden Abend das Drama menschlichen Martyriums“ spielen.
Ein breites,
seraphisches Lächeln
Dieses Drama endet
tödlich, nicht nur weil August sich mitschuldig macht am Tod seines weniger
begnadeten Kollegen Antoine, sondern weil sich seine eigne Suche erst im Tod
vollendet. Der begegnet ihm eines Abends in Gestalt eines Polizisten mit
erhobenen Knüppel. „Er lief ihm entgegen, um sich in die Arme des Erlösers
zu retten, da fiel eine Wolke von Dunkelheit über ihn mit der Härte eines
Hammerschlags“, heißt es am Ende von Henry Millers Erzählung „Das Lächeln am
Fuße der Leiter“. Fußgänger, die den Clown finden und auf den Rücken drehen,
entdecken zu ihrem Erstaunen, daß er lächelt: „Es war ein breites,
seraphisches Lächeln, aus dem Blut sprudelte und rieselte.“
Fortsetzung von Seite 17
Peter Marggrafs Collagen
beziehen sich ganz bewußt auf bestimmte Textpassagen, die er selbst im
Anhang des Buches auflistet. Er hat Illustrationen geschaffen – oder besser:
Er hat sein Bild bestimmter im Text geschilderter Situationen und seelischer
Zustände gestaltet, wie er dies in anderen Büchern der Reihe I Libri Bianchi
auch getan hat. Er hatte die Reihe begonnen, um die Schätze zu heben, die
sich in seinen Zeichenmappen in 50 Jahren unermüdlichen Schaffens
angesammelt hatten. Die „weißen Bücher“ waren sozusagen sein Trick, sich
unabhängig von Ausstellungen eine Möglichkeit zu schaffen, als Zeichner an
die Öffentlichkeit zu treten.
Und wer wollte bestreiten, daß auf diese Weise
immer wieder verblüffende Werkreihen zutage getreten sind, sowohl in
Nachdrucken bekannter Autoren von Arthur Rimbaud bis Gertrud Kolmar, wie
gerade auch in den Erstveröffentlichungen aktueller Literatur. Z.B. in einem
Band mit Gedichten von Gerd Kolter (I libri bianchi 11), denen der Künstler
„Landschaftsversuche“ an die Seite gestellt hat, Monotypien auf Packpapier,
sehr schöne, beinahe abstrakte Blätter.
25 Jahre San Marco
Handpresse
Und wie staunte ich, als ich meinen eigenen Band,
„Graue Küste, Gegenlicht“ (I libri bianchi 14), in Händen hielt. Er enthält
neben meinen disparaten, sich wortreich in alle Richtungen ausbreitenden
Gedichten, einen Block Selbstporträts Marggrafs. Findest Du das gut? wurde
ich gefragt. Ja, ich fand das gut. Mir gefielen Marggrafs
konzentriert-variantenreiche Versuche, alles Wichtige in Selbstbildnissen zu
sagen, gerade im Kontrast zu meinen wild von Sujet zu Sujet springenden
Texten. So, damit
hätten wir das ursprüngliche Thema dieser Einlassungen endgültig verlassen.
Der Themen- und Tonwechsel hat seinen Grund. Mich erreicht, als ich mitten
in meinen Text zu Henry Millers Erzählung steckte, eine Mail Peter
Marggrafs. Die San Marco Handpresse bestehe seit nunmehr 25 Jahren, ließ er
mich wissen. 1996 habe er nicht nur seine Linotype-Setzmaschine angeschafft,
sondern seinem verlegerischen Unternehmen auch den Namen San Marco
Handpresse gegeben. Weil ihm die alte Buchdruckerstadt Venedig so viel
bedeutete und soviel gegeben hatte. Hierher reiste und reist er immer wieder
– um zu arbeiten. Die ersten seiner Venedig-Skizzenbücher hat er jetzt der
Sammlung Hartmann im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig
anvertraut. 25
Jahre – das bedeutet weit über 100 Bücher und Kassetten! 1998 schrieb ich
das erste Mal über den Büchermacher Peter Marggraf – „Gesamtkunstwerk Buch –
Über Handpressendrucke und ihre Verleger“, hieß mein Beitrag für das „forum“
des Literaturrats Niedersachsen, in dem Marggraf natürlich eine prominente
Rolle spielt. Ich stand zum ersten Mal im Untergeschoß des Hauses in
Bordenau, wo sich sein Atelier befindet, das damals noch von den großen
Terracotta-Figuren dominiert wurde, die mir den Künstler Peter Marggraf
nahebrachten, dem es in seiner Kunst um den Menschen und die Conditio Humana
geht. Ungefähr zur selben Zeit sah ich seine Bachmann-Epitaphe, die „Lieder
auf der Flucht“ als großformatige Frottagen der aus großen Holzlettern
gesetzte Gedichte, aufbewahrt in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in
Hannover. Das
Büchermachen begann für ihn mit der Lust am Material, sagte damals der
Drucker, der sich alle Arbeitsschritte seiner neuen Tätigkeit selbst
aneignen mußte, vom Satz über den Druck bis zum Binden der Bücher. Er schuf
aufwendige bibliophile Ausgaben von Beckett, Trakl und anderen, das
dreibändige Rilke-Projekt „Die Stundenbücher“ oder jüngst „Mein blaues
Klavier“ von Else Lasker-Schüler. Er hat zahlreiche Kassetten für die
Sammlung Hartmann für sich und andere gestaltet und schließlich die Reihe „I
libri bianchi“ gestartet.
Der Künstler Peter Marggraf ist vor allem auch
ein großartiger, besessener Handwerker! Das sage ich nicht zum ersten Mal.
Seit wir uns kennenlernten, habe ich immer wieder und aus verschiedenen
Anlässen über ihn, d. h. über seine Arbeit, geschrieben, nicht nur für seine
Berichte aus der Werkstatt, sondern z. B. auch für Bartkowiaks „forum book
art“, das Kompendium für zeitgenössischer Handpressendrucke und Verwandtes.
Es wäre wohl an der Zeit, den Künstler und Büchermacher Marggraf einmal
ausführlich zu porträtieren. Für diesmal will ich ihm zumindest gratulieren!
Sie können über die E-mail Adresse oder per Post
Bücher bei der San Marco Handpresse bestellen und bekommen dann eine
Rechnung zugeschickt. Nach Eingang des Rechnungsbetrages erhalten Sie
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