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Ein Altar für das Diakonie-Kolleg Wolfenbüttel
„Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig“ (5. Mose 6,4)

 

 

 

Manfred Marquardt

Das Schma Israel ist das grundlegende monotheistische Bekenntnis Israels: „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig“ (5. Mose 6,4)
Es zeigt nicht nur den Ursprung des Judentums, sondern bildet auch die gemeinsame Grundlage der abrahamitischen Religionen. Es ist zentraler Bestandteil des täglichen Gebetes von Jüdinnen und Juden – wie Al Fatiha für Musliminnen und Muslime. Das ist „Die Eröffnende“, also die erste Sure des Korans, die Gottes Barmherzigkeit preist und wie das Schma Israel seine Einzigkeit bekennt: „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes: Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, dem Barmherzigen und Gnädigen!“ Die Bergpredigt schließlich ist die sich über drei Kapitel erstrekkende Rede, in der das Matthäusevangelium die Lehre Jesus zusammenfasst. Sie bezieht sich auf die Tora Israels und zeigt doch unverwechselbar die Art, in der Jesus das gemeinsame Gebot auslegt: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist‚ ‚Du sollst deinen Nächsten lieben, aber den Feind hassen’. Ich aber sage euch: ‚Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.’“ Diese drei zentralen religiösen Texte hat der Bildhauer Peter Marggraf für die Gestaltung eines Flügelaltars für die Aula des Diakonie-Kollegs in Wolfenbüttel ausgewählt.
Der dreiteilige Flügelaltar für Wolfenbüttel soll einen dauerhaften Platz im Schulgeschehen bekommen, und so schlug Peter Marggraf die Platzierung in einer nicht benutzten, aber doch zentral gelegenen Ecke der Aula vor. Bei der „Benutzung“ des Altars wird die Bestuhlung des Raumes nicht wie gewohnt zur Bühne ausgerichtet, sondern dia-gonal im Raum zum Altar hin. Durch diese neue Nutzungsachse wird die Besonderheit des Anlasses oder der Feier noch verstärkt und von anderen Veranstaltungen in der Aula hervorgehoben.
Der sichtbare Mittelpunkt und auch der Schwerpunkt der Gestaltung sind zwei Linien, die sich überschneiden, überkreuzen, ein filigranes Kreuz aus schwarz lackierten dünnen Eisenstäben. Die vertikale Linie des Kreuzes stellt die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen dar, die horizontale Linie die Beziehung zwischen den Menschen. Diese sich kreuzenden Linien, dieses Kreuz, sind kein Werkzeug der Folter, der Tötung. Zwei Linien, ein Zeichen für uns. In der Nähe des Kreuzes stehen zwei Menschen, modelliert in Wachs und dann in Bronze gegossen, ca. 50 cm hoch. Eine Figur, in sich gekehrt, zurückgenommen, die Arme vor der Brust gekreuzt, die zweite Figur mit geöffneten Armen, nach außen wirkend.
Die Modellierung beider Figuren ist, wie bei allen plastischen Arbeiten von Peter Marggraf, „skizzenhaft unfertig“, „roh“, suchend geformt, nicht ausmodelliert. Das Herantasten an die Form, das Suchen, das Einkreisen des Themas wird von Peter Marggraf in der Arbeitsphase gestoppt, in der er die größte Spannung in der Arbeit erreicht. Diese Spannung soll in ihrem „non finito“, wie man in der italienischen Renaissance zu diesen Arbeiten sagte, sichtbar bleiben und dem Betrachter ein Weiterdenken und Selberfinden im „Gestrüpp“ von Linien und Formen ermöglichen. Der Schüler, die Schülerin oder der Betrachter findet hier einen Kontrast zu Gewohntem, nämlich Fertigem, Unveränderbarem in unser perfektionierten Welt. Es gibt nichts Fertiges und die künstlerische Arbeit von Peter Marggraf kann in ihrer „Nicht-Vollständigkeit“ und ihrer meditativen Spannung dem Dialog zwischen Mensch und Gott in besonderer Weise dienen.
Die beiden Türen des Altars werden auf ihren Innenseiten mit den oben erwähnten Texten aus der Tora, dem Koran und der Bibel gestaltet und reihen sich so in die Tradition der kalligrafischen Gestaltung im sakralen Raum ein. Eine Gestaltung wie gewebt, ein „Teppich“ aus Buchstaben und Wörtern. Nicht primär zum Lesevergnügen, sondern in dem Wissen um den Inhalt als Möglichkeit der Meditation. Während das Kreuz klar erkennen lässt, wo sich das Diakonie-Kolleg als diakonische Schule selbst verortet und zuhause weiß, zeigen Schma und Al Fatiha, daß wir uns der Zusammenarbeit mit Gläubigen anderer Religionen öffnen und zukünftig auch in der Diakonie gemeinsam daran arbeiten wollen, wie soziale Arbeit im Sinn der Menschen gelingen kann, die auf unsere Hilfe hoffen.
Unser Dank gilt der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover, Herrn Rabbiner Dr. Gabor Lengyel und Frau Najla Al-Amin von der Universität in Osnabrück, die uns mit Rat und Tat bei der Suche nach einer geeigneten hebräischen und arabischen Schrift zur Seite standen.