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KUNST UND KIRCHE EINE BEGEGNUNG
Rede zur Einweihung von Peter Marggrafs Flügelaltar im Annastift Hannover

 

 
     
Zwei Blätter zum Thema "Gekreuzigt". 2006. Acryl 50x70 cm

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Dr. Eva Lachner

Die Kirche ist und war von Anfang an ein Ort der Begegnung. „Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ heißt es in der Bibel. Kernstück des kirchlichen Lebens ist die Gemeinde! Nicht der Ort der Begegnung ist entscheidend, sondern der Geist, in dem diese Begegnung stattfindet. Zeugen dieser Vergangenheit sind Wohnhäuser früher Christen (Rom,Trier), die schlichten Kirchen der frühen Romanik (Gernrode, Reichenau). Hier empfangen strenge Mauern den Gläubigen, trennen ihn von der Außenwelt und schaffen so eine Gemeinschaft. Ich empfinde es als ein gutes Zeichen, daß man heute zu diesen schlichten Kirchenbauten zurückkehrt.
Aber man wollte mehr! Die Kirche als Institution erhebt ihren Machtanspruch mit den gewaltigen Domen des Mittelalters (Speyer, Worms), den Gottesburgen, – den von der Mystik erfüllten Kathedralen der Gotik (Straßburg, Köln), zum Himmel strebend, – bis in die Spätzeit, dem Barock (Ottobeuren, Vierzehnheiligen) mit seiner heiter-gelösten, fast weltlich anmutenden Frömmigkeit.
Immer jedoch spielt der Raum eine entscheidende Rolle, er ist das Zentrum der Begegnung, auch zwischen den Menschen und der Kunst, – Malerei, Plastik und Kunsthandwerk verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk. Aber die Kirche ist kein Museum! Ich finde beschämend, daß man mit Tafeln auf angemessenes Benehmen, Kleidung u.a. hinweisen muß!
Schon früh, mit den ersten Kirchenbauten, hielt auch die bildende Kunst ihren Einzug, zunächst mit der Malerei, denn die Plastik galt als heidnisch, als Götzenwerk und verführte zur Anbetung, – heißt es doch: „Du sollst Dir kein Bildnis machen“!
Nicht als schmückendes Beiwerk erfuhr die Malerei ihre Anerkennung, sondern als wesentliche Quelle der Information, als lebendige Darstellung biblischer Gleichnisse wie die Heilung des Blinden oder die Speisung der Zehntausend und anderer „Sprachbilder“. Daß die Mehrzahl der Menschen damals nicht lesen konnte, ist nur eine halbe Erklärung, denn dann hätte man in den Klöstern, wo man ja des Lesens kundig war, auf Bildwerk verzichten können. Aber ein Bild wirkt nachhaltiger, spricht einen größeren Kreis an (man denke an das Fernsehen!), ist eben anschaulicher und leichter begreifbar, weil eindeutiger als Text. Schon Karl der Große forderte auf einem Konzil 801 n. Ch. Bildgeschichten in den Kirchen seines Reiches zur Belehrung der Gläubigen, – gilt doch das Bild stets als Beweis der Wirklichkeit.
Diese Kunst ist immer gebunden an den Auftrag, früher mehr, seit der Renaissance wird dieses Verhältnis immer freier, – es gilt, einem Inhalt, einem Thema die angemessene Form zu geben, – das ist Kunst! Und ich lasse mir nicht ausreden, daß Kunst von Können kommt, – man muß sein Handwerk beherrschen! Auch eine innere Einstellung zum Thema ist erforderlich, wenn der Künstler mit seinem Werk überzeugen will.
Für einen Baumeister, einen Architekten ist es, meiner Meinung nach, nicht unbedingt notwendig, ein gläubiger Christ im Sinne der Kirche zu sein. Er muß vor allen Dingen den Anforderungen des Kirchenbaus gerecht werden, seine Funktionen berücksichtigen (evangelisch-katholisch u.a.), den Ablauf des Gottesdienstes, also die praktische Nutzung, die natürlich auch im Laufe der Zeiten einen Wandel erfahren hat. So brauchen die Kirchen der Gotik, um sich dem vielschichtigen Stadtleben anzupassen, eine Vielzahl an Kapellen für Kaufleute, Handwerker und andere Stände, mehr Ein- und Ausgänge, um ein aufwändiges Ritual zu ermöglichen. So weist auch der Kirchenbau auf die Veränderung der Gesellschaft und ihrer sozialen Struktur hin.
Anders ist es jedoch bei den bildenden Künstlern, den Malern, Bildhauern, Bildschnitzern. Hier war der Auftrag im engsten Sinne zu verstehen. Nicht nur das Thema, auch die Art der Ausführung wurde genau festgelegt, so auf Konzilen und anderen Kirchensitzungen, – von Geistlichen ausgearbeitet, ließen sie wenig Spielraum für Eigeninterpretation. Ein Beispiel: als Riemenschneider 1500 die Figuren von Adam und Eva für die Marienkapelle in Würzburg anzufertigen hatte, da hieß laut Ratsbeschluß der Auftrag: „Adam ohne Bart“.
Von früh an spielt der Altar die wichtigste Rolle im Kirchenraum, er ist Mittelpunkt des religiösen Geschehens. Anfangs war er ein schlichter Tisch, die Mensa, als Erinnerung an das Abendmahl. Der Priester stand hinter ihm, ein Kreuz ohne Corpus in der Hand, wie man es auf den Mosaiken in Ravenna sieht, Daraus entstand eine Tafel mit der Kreuzigung, ein Bild, nicht eine Plastik (die „Triumphkreuze“ in der Vierung kamen erst später auf).
Diese Bildtafeln verdrängte den Priester vor den Altar, und auf dem Tisch entsteht nun der Altaraufsatz, der in der Spätgotik seine Blüte erlebte, als Flügelaltar mit reichem Schnitzwerk und Malerei versehen ragt er weit in den Raum, oft mehr als 15 Meter hoch, seine Flügel offen oder geschlossen folgen dem Ablauf des Kirchenjahres. Im Barock nimmt er bühnenmäßige Gestalt an, offenbart ein religiöses Schauspiel, lässt das Mysterium sichtbar werden.
Weil nun der Altar, eigentlich Altaraufsatz, aus dem Kreuz hervorgegangen ist, wird auch die Kreuzigung das vorrangige Thema. Erst in der Gotik mit dem Marienkult gewinnen Geburt und Leben Christi an Bedeutung, – erzählerisch und lieblich wird es von der Malerei vereinnahmt, während die Kreuzigung ernster und strenger zur Darstellung gelangt, obwohl auch hier im 15. Jh. eine schildernde Breite mit den beiden Schächern, den Frauen und Soldaten entsteht und so das eigentliche Thema, der Kreuzestod aufgeweicht wird. So erscheint Christus in der Romanik mit der Herscherkrone als Überwinder des Leidens, während die Gotik den leidenden Menschen Christus mit der Dornenkrone zeigt.
Als Folge der Aufklärung bricht diese Entwicklung im späten 18. Jahrhundert ab, – vor der Auseinandersetzung mit der Realität tritt das religiöse Thema in Malerei und Plastik zurück. Erst zu Beginn der Moderne erscheint es wieder, vereinzelt zwar, selten jedoch als Auftrag. So schuf Max Slevogt in den 20er Jahren eine Passionsreihe, aus der dann der Altar für die Kirche in Ludwigshafen entstand: Christus am Kreuz und die beiden Schächer, im Vordergrund eine Gruppe Trauernde, die Herren mit Zylinder! Dagegen konnte Emil Nolde seinen Altar – er war ein Selbstauftrag – nicht loswerden.
Persönliches Erleben der Kriegs- und Nachkriegszeit führten oft zur Beschäftigung mit Glaubensfragen und ging in die Kunst ein, mehr in die Malerei, die dem Künstler einen größeren Spielraum ließ als die Plastik, die zu konkret war. Otto Dix wählte für sein Kriegsdrama die Form des Triptychons, den dreiteiligen Altar. Max Beckmann, – er war im Krieg als Sanitäter, – malte eine ergreifende Kreuzigung, Marc Chagall setzt mit seiner „Weißen Kreuzigung“ Revolution und Flucht ein Denkmal. Solche Bilder werden heute in Museen gezeigt, stoßen sie doch meist auf Ablehnung, sowohl bei der Kirche wie auch bei der Gemeinde. Im Fall von Georg Baselitz mit dem auf dem Kopf stehenden Christus kann ich das nachvollziehen, aber gerade der ist in der Kirche von Lattrich, Kreis Hildesheim, zu sehen. Für den Vatikan entstanden Dalis Bilder des Gekreuzigten, – sie wurden ihm mit Dank zurück geschickt. Für mich ist die Arbeit von Joseph Beuys besonders beeindruckend: eine schlichte Kreuzform mit dem Zeichen des Roten Kreuzes und je einer Blutkonserve zur Seite, überkonfessionell, auf das Opfer am Kreuz hinweisend, Blut, das Leben rettet, Ausdruck der Humanität. Und noch ein Beispiel aus der Malerei, Werner Tübkes (gest. 2004) letztes Werk, der Altar in Clausthal-Zellerfeld, eine Auftragsarbeit, sie knüpft auch im Stil an die Tradition der mittelalterlichen Flügelaltäre an.
Für den Künstler der Gegenwart ist es eine Herausforderung, sich an den Themen der Vergangenheit zu messen, sie neu, anders zu interpretieren! Und das führt uns zu hier und heute: zu Peter Marggraf.
In Marggrafs letzten „Berichte aus der Werkstatt“ lautet das Motto zum Werk des Künstlers: „Suchen, um zu finden“ und wird Picassos Ausspruch: „Ich suche nicht, ich finde!“ gegenübergestellt. Um beiden Zitaten gerecht zu werden, möchte ich den Begriff „Suchen“ etwas genauer unter die Lupe nehmen, erscheint er mir doch doppelbödig zu sein.
„Suchet, so werdet ihr finden“ heißt es in der Bibel. Was? Antwort auf all unsere Fragen? Suchen ein ganz realer Vorgang mit einem bestimmten Ziel, – wir suchen unsere Schlüssel oder Pilze im Wald. Bei der Suche nach Freunden wird das Bild schon ungenauer. Und dann gibt es ein anderes, mehr inneres Suchen, unklar, mehr einer Sehnsucht gleich. Wie heißt es doch bei Goethe: „Ich ging im Walde so für mich hin / Und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“
Das ist eine noch ungenaue Vorstellung, mehr eine Ahnung, die sich dann mit dem gefundenen deckt: der ideale Mann, die ideale Frau und uns ausrufen lässt: „Das hab ich schon lange gesucht!“ Vor dem inneren Auge steht ein Bild. das durch das Finden zur Realität, zur Bestätigung des Suchens wird. Ich meine, das ist das eigentliche Suchen des Künstlers und das gilt für beide, Picasso wie Marggraf, dieses innere Suchen, aus dem sich die künstlerische, die künstliche Form entwickelt, bei Marggraf das Menschenbild.
Und wir können dieses Suchen miterleben im Linienreichtum der Zeichnung, deren Linien wie Musik sind. Einsehen ist hier gefordert! Suchend gleitet der Stift über die Fläche, stockt, verharrt, weiß zu finden und nimmt uns in dieses Finden mit hinein.
Aus einem anderen Suchen sind Marggrafs Skulpturen entstanden, aus dem unmittelbaren Umgang mit dem Material, das seine Handschrift trägt. So sind die Figuren voller Risse, Narben, Wunden, gestückelt und nicht von klassisch vollendeter Form der Renaissance. Es ist das „non finito“ des späten Michelangelo, – man vergleiche einmal die Pieta Rondanini in Mailand mit der frühen Pieta in St. Peter in Rom!
„Daß Du nicht enden kannst / Das macht Dich groß“ (Goethe) Auch hier ist der Betrachter gefordert, wenn auch auf andere Weise.
Lassen Sie mich den Begriff „Torso“ klären, – hierbei handelt es sich um eine Plastik, die vom Zahn der Zeit angenagt, Arme und Beine verloren hat, sodaß nur noch der Körper existiert, – Beispiele sind griechische und römische Figuren. Das „non finito“ jedoch ist eine unvollendete Gestalt, eine Art Entwurf des freien Künstlers im Umgang mit Idee und Material, die ihm zur Bewältigung des Themas reicht und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Heute wird diese Technik bewußt eingesetzt, um den Betrachter stärker einzubinden. In der Malerei ist es der „unfertige“ Stil des Impressionismus eines Monet.
Marggraf hat in einem Andachtsraum den gesamten Innenraum gestaltet: das Lesepult, der Tisch vor dem Altar mit Leuchtern und Decke, ein Kreuzfragment an einer Wand. Auch der von ihm gestaltete Altar ist in den Raum eingebunden: Zwei rote Linien an den Wänden treffen sich im Mittelteil der Christusfigur. Der dreiteilige Altar ist nur in geöffnetem Zustand erlebbar, – geschlossen ist er Teil einer Schrankwand, – keine Markierung hebt ihn nach außen hervor, im Gegensatz zum Flügelaltar des Mittelalters, der auch in geschlossenen Zustand eine Ansicht, meist Malerei, aufweist.
Im Mittelteil, auf einer Eisenplatte mit reizvoller Oberfläche, in einem langen Arbeitsprozeß entstanden, erscheint sehr klein die Bronzefigur des Gekreuzigten ohne Kreuz, leicht zur Seite geneigt, den Kopf gesenkt, blicklos, ein geschundener Körper, verstümmelt, geschrumpft, man spürt förmlich die Hand des Künstlers, wie er formt. Links auf der Seitentafel Maria und Johannes, im Schmerz vereint, sich haltend, stützend. Rechts der Auferstandene, auch er zeichenhaft, Linie auf Fläche. Sehen – einsehen wird vom Betrachter gefordert!
Geleitet von den Worten des Johannesevangeliums, in dem der Lieblingsjünger einen sehr prägnanten Christus schildert, auch Dürer hat diese Quelle benutzt, hat Marggraf das Thema sehr persönlich bewältigt. So wird auch sein Arbeitstitel und zugleich Motto des Altars verständlich: „Es ist vollbracht!“

 

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