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Der Ackermann und der Tod
Peter Marggraf. Radierungen


Der Ackermann aus Böhmen ist ein Werk des Johannes von Saaz (1350 – 1414), auch Johannes von Tepl – benannt nach seinem möglichen Geburtsort in Nordböhmen, das um 1400 entstand. Zunächst in verschiedenen Handschriften verbreitet und erstmals um 1460 in Bamberg im Druck erschienen. Es war eines der ersten Werke auf Deutsch, das mit Holzschnitten versehen war. Eine „invectio contra fatum mortis inevitabile“, eine „Streitschrift gegen das unausweichliche Schicksal des Todes“, so nannte der Autor sein Büchlein vom „ackerman“.

 

Zum Buch "Der Ackermann und der Tod" mit Radierungen vonPeter Marggraf  
 
     
 

 

 

Wunder nimmt uns solch unerhörte Anklage …“

Peter Marggrafs opulentes Kassettenwerk zu
„Der Ackermann und der Tod“ des Johannes von Saaz

Von Gerd Kolter

Ein neues Buchobjekt aus der Werkstatt Peter Marggrafs, ein neuer Beitrag zur Gattung der „Totentänze“, von der Marggraf seit langem fasziniert ist und zu der er bereits in der Vergangenheit bemerkenswerte Arbeiten vorgelegt hat. Wir kennen sehr wohl die lange Tradition an künstlerischen Darstellungen des Totentanzes, etwa in der Marienkirche zu Lübeck, wir kennen verschiedene literarische Umsetzungen des Themas, meist in Gedichtform. Allen ist gemein, daß der Tod als Knochenmann die zum Sterben Erkorenen ohne Rücksicht auf Rang und Stand, auf Jugend und Alter, und trotz ihres Bittens und Flehens „antanzt“ und mit sich nimmt. Dargestellt werden dabei aber keine Individuen, sondern – in absteigender Reihenfolge – prototypische Vertreter der gesellschaftlichen Gliederung, vom Papst bis zum Bauern, so demonstrierend, daß die Gewißheit des Todes unterschiedslos für alle gilt.
Trotz verschiedener Anklänge an diese Tradition tanzt der Text des Johannes von Saaz sozusagen völlig aus diesem Reigen: Da klagt ein „Ackermann“ in Anlehnung an den Ablauf eines mittelalterlichen Strafprozesses heftig über den Verlust seiner jungen Frau, die im Kindbett gestorben ist; im Mittelpunkt steht aber seine wortgewaltige Anklage gegen die selbstherrliche Anmaßung des Todes, wobei er sich immer wieder auch in kräftigste Beschimpfungen hineinsteigert. Zwar stellt er sich im 3. Kapitel (von insgesamt 34) folgendermaßen vor: „Ich bin genannt ein Ackermann. Die Schreibfeder ist mein Pflug.“ Doch wird schnell klar, daß ein einfacher Bauer nicht der Urheber der darauffolgenden elaborierten Texte sein kann. Zwar wissen wir wenig über die Biografie des Autors der Streitgespräche, aber immerhin, daß er Stadtschreiber und Rektor der Lateinschule im böhmischen Saaz gewesen ist und daß seine Frau Margaretha tatsächlich am 1. August des Jahres 1400 im Wochenbett starb, was ihn kurz darauf zur Niederschrift des dramatischen Gedichts veranlaßte.
Es sind gleich mehrere Faktoren, welche dieses erstaunliche Werk einzigartig machen: Da ist vor allem die schon angedeutete Figurenkonstellation zu nennen: Der Ankläger akzeptiert nicht die Unabänderlichkeit des Sterbens seiner Frau, er empört sich, stellt die Entscheidung des Todes mit verschiedenen Argumenten in Frage: Dieser habe sie ihm nicht nur viel zu früh, im jugendlichen Alter genommen; sie sei für ihn von einer Wichtigkeit gewesen, die er gar nicht genug preisen könne. Zur Verdeutlichung, ja Überhöhung dieser Wichtigkeit setzt der Autor sprachlich gewandt das für die Schönheitsbeschreibung einer Frau gängige Mittel der Enumeratio ein: „Sommerblume“, „Turteltaube“, „Wünschelrute“, „Morgenstern“, „Diamant“, „Jungbrunnen“ usw. Je höher die Lobpreisung, wohlgemerkt durch das Pronomen „mein“ immer auf den Bauern zurückbezogen, desto heftiger fällt natürlich auf der anderen Seite die Beschimpfung des Todes aus, der ihm diesen großen Schatz genommen hat: „Lästermäuliger, Schandgieriger, Würdeloser und Griesgrämiger, sterbt [!] und erstickt in der Hölle!“
Dieser Empörung setzt der angeklagte Tod zunächst eine herablassende Arroganz entgegen: Er verwendet den Pluralis Majestatis („Wir“, „Uns“), redet den Bauern als „Sohn“ an, betont seine „herrliche und gewaltige Macht“ ebenso wie den Anspruch auf gerechtes Handeln: „Denn Gerechtigkeit ist Unser Gefährte“. Mit dieser Haltung liefert er aber dem Bauern von Vornherein entscheidende Ansatzpunkte zum Widerspruch: Schon gleich zu Anfang hebt dieser hervor, daß die Macht des Todes keineswegs uneingeschränkt gilt, da er Gott untergeordnet sei („Gott, Euer Schöpfer“). Im Folgenden stellt er dann auch dessen angeblich gerechtes Handeln in Frage, wenn er die Jugend und vor allem die Tugendhaftigkeit seiner Frau ins Feld führt, die einen so frühen Tod nicht rechtfertigen würden. Damit demonstriert er, daß er sich keineswegs durch das Machtgehabe des Todes abfertigen läßt, sondern gewillt ist, auf Augenhöhe zu argumentieren. Damit kann die eigentliche Disputation beginnen, die aber weiterhin nicht trocken rational, sondern durch die fortdauernden Beschimp-
fungen auch emotional geführt wird. Nicht zu vergessen ist aber dabei, daß im Hintergrund immer Gott steht, der vor allem vom Bauern leitmotivisch in seiner übergeordneten Rolle („Gott, der meiner und Euer mächtig ist“) als Helfer und Richter angerufen wird.
Die argumentative und sprachliche Kompetenz des Ackermanns zwingt den Tod, von seiner abstrakten Vagheit herabzusteigen und konkrete Rechtfertigungen für sein Handeln zu liefern. So definiert er Gerechtigkeit sozusagen als Unkorrumpierbarkeit („wir schonen niemandes Adel …“) und betont seine wichtige Rolle als Regulativ einer unkontrollierten Vermehrung aller Lebewesen. So ganz kann er aber dabei nicht von seiner ursprünglichen Haltung absehen, wenn er seinem Kontrahenten fehlende „Weisheit“, sprich mangelnde Einsicht in den „Zusammenhang der weltlichen Dinge“ vorwirft. Auf diese allgemeine Ebene will sich der Bauer zunächst nicht begeben und setzt den übergeordneten Argumenten weiter seine individuelle Betroffenheit („mein ungeheures Sinnenleid, Vernunftleid und Herzensleid“) entgegen, sprachlich noch einmal verstärkt durch immer neue Reihungen, die Wichtigkeit der Ehefrau für ihn betonend: „meine heilsame Arznei, Gottes Dienerin, meines Willens Pflegerin, meines Leibes Wärterin ...“. Hier und später geht er aber auch über die Beschimpfung hinaus, sieht den Tod mehr und mehr nicht nur als Gegner, sondern als „guten Wegweiser“, der ihm „Hilfe, Rat und Wiedererstattung“ schulde. Umgekehrt geht auch der Tod einen Schritt auf den Bauern zu, indem er seine erhabene Position teilweise aufgibt und sich ausdrücklich als Teil der göttlichen Weltordnung sieht: „Wir, Herr Tod, sind Gottes Hand, ein rechtmäßiger Mäher.“
An dieser Stelle beginnt der Autor mit den Worten des Todes die Argumentation ins Theologische und Philosophische auszuweiten: „Wir sind des Wesens Ende, des Nichtwesens Anfang, ein Ausgleich zwischen beiden“. Er bezieht sich auf die Erbsünde als Ausgangspunkt des menschlichen Sterbens, er zitiert Aristoteles, läßt die Menschheitsgeschichte Revue passieren. Passend zu dieser „Gelehrtheit“ wird die Sprache noch strukturierter. Er verwendet Bilder und Sentenzen: „Vom Licht zum Nicht müssen sie kommen. Auf schnellen Füßen läuft dahin des Menschen Leben …“ Er nimmt die Schimpftirade des Bauern auf und steigert sie bei der Charakterisierung des Menschen in eine Suada hinein: „… ein ekler Unrat, ein unreiner Mist, ein Kotfaß, eine Wurmspeise, ein Stankhaus, ein schmutziger Spülzuber“ usw. Daß dagegen der Ackermann den Menschen als vernunftbegabtes, „liebliches Gebild“ Gottes verteidigt, scheint den Tod nur noch weiter anzu-stacheln: In parallelen Satzstrukturen führt er vor Augen, daß die menschliche Vernunft in keiner Weise gegen das Sterben hilft, weder mit Hilfe der sieben artes liberales (von Grammatik bis Musik), noch durch alle möglichen Formen der weissagenden Künste.
Einer solchen rhetorischen Wucht scheint der Bauer dann doch nicht gewachsen. Er lenkt ein, verlegt sich sogar aufs konkrete Bitten: „Herr Tod, ratet! Rat ist not!“ Oder noch konkreter: „In welcher Weise soll ich jetzt mein Leben einrichten?“ Und eine neue Ehe scheint ihm nach der bisherigen Erfahrung auch durchaus erstrebenswert. Da nimmt es nicht wunder, daß der Tod erneut zu einer Gegenrede ansetzt und in immer neuen Reih-ungen negative Beispiele in Bezug auf das Verhalten von Ehefrauen aufführt: „Trügen, Listen, Schmeicheln, Spinnen, Liebkosen, Bellen, Lachen, Weinen kann sie sehr wohl in einem Augenblick.“ Und angesichts der recht zaghaften Widerrede des Ackermanns weitet er die negativen Eigenschaften auf das gesamte Menschengeschlecht aus: „Alle Menschen sind mehr zur Bosheit denn zum Guten geneigt.“ Und daraus leitet er den Appell an den Bauern ab, sich von dem Bösen abzuwenden und das Gute zu tun.
Das Streitgespräch scheint an ein Ende gekommen; das Eingreifen Gottes, das der Bauer immer wieder gewünscht hatte, wird jetzt sogar von seinem Gegner eingeleitet. Wie zu erwarten, fällt der Richter eine salomonische Entscheidung: Der angeklagte Tod hat sich zwar in seinem Herrschaftsanspruch überhoben, ist aber dennoch der Sieger, weil jeder Mensch im Rahmen der göttlichen Weltordnung sterben muß. Der Bauer darf sein Leid klagen, aber kein „Erbrecht“ an seiner Frau beanspruchen. Am Ende steht die Anerkennung: „Ihr habt beide gut gefochten.“ Die Empörung ist durch den wahren Herrscher der Welt befriedet; der Bauer feiert am Ende in einer eloquenten Lobpreisung den wahren Herrscher der Welt und fleht ihn in wiederholten Fürbitten („erhöre mich!“) an, seiner Frau die ewige Ruhe zu gewähren.
Peter Marggraf hat dieses sprachlich und gedanklich erstaunlich vielfältige Werk des Übergangs zwischen Spätmittelalter und Renaissance mit einer großen Kassette gewürdigt: Die gefalteten Doppelbögen des Textes und seine sechs Radierungen sind nicht zu einem Buch gebunden, sie werden als Block in einer offenen, schwarzen Fadenbindung im japanischen Stil zusammengehalten und lassen sich in die mit schwarzem Leinen bezogene Kassette mit Klappdeckel schieben. Deckblätter und Radierungen wurden auf einem zartgrünen Bütten gedruckt, dessen Farbe mit den Überschriften der einzelnen Kapitel korrespondiert. Die Textblätter heben sich in ihrem getönten Weiß davon ab und erweisen sich durch die klare Typographie und den größeren Durchschuß als sehr lesefreundlich. Erfreulicherweise hat Marggraf nicht versucht, das Alter des Textes etwa durch eine historisierende Frakturschrift anzudeuten, und eine gute Entscheidung war es auch, die unpathetische neuhochdeutsche Übersetzung von Hans Franck aus den fünfziger Jahren zu wählen und nicht etwa die „altertümelnde“, verstiegene Versübertragung von Erwin Guido Kolbenheyer von 1943.
Im Zentrum des Buchblocks stehen die sechs Radierungen. Nicht umsonst gehört Peter Marggraf seit vielen Jahren der Europäischen Totentanz-Vereinigung an und bringt immer wieder neue Beispiele zu diesem Thema hervor, unter anderem als Leporello für die Sammlung Hartmann im Dommuseum Hildesheim. Schon beim ersten Blick zeigt sich, wie sehr die Radierungen hier das gewählte große Format brauchen. Es gibt keine Staffage, stattdessen konzentriert sich die Aufmerksamkeit sofort auf die bildfüllenden Figuren vor einem einheitlichen schwarzen, düsteren Hintergrund, ausgeführt in breiten Strichen. Während im literarischen Text die äußere Erscheinung des Todes keinerlei Erwähnung findet, die des Ackermanns eine bäuerliche Kleidung suggeriert, erscheinen die menschlichen Figuren in den Radierungen in ihrer kreatürlichen Nacktheit, der Tod in der bekannten Form des Gerippes. Dadurch springen sie den Betrachter förmlich an, besonders natürlich dann, wenn die Radierung eine „Nahaufnahme“ des Totenschädels zeigt. Im Zentrum des literarischen Werkes steht das Wortgefecht, Tod und Bauer kommen sich nicht nahe (so auch deutlich in den bunten (!) Illustrationen zur Handschrift im Codex Palatina). In den Bildern Marggrafs ist das ganz anders, sei es im erotisch engen Tanz des Skeletts mit der Frau oder in der direkten Kopf-zu-Kopf-Konfrontation von Bauer und Tod. Die dadurch entstehende Emotionalisierung der Figuren überträgt sich sofort auf den Betrachter. Mit wenigen Details gelingt es Marggraf, wichtige Charakteristika der Personen und ihrer Haltung zu verdeutlichen: So verschmelzen durch die Linienführung die Leiber von Mann und Frau miteinander, drücken so ihre innige Verbundenheit und dadurch auch den großen Schmerz des Verlusts auf Seiten des Bauern aus. Oder aber wird die Überheblichkeit des Todes im wahrsten Sinne des Wortes dadurch bildlich zurechtgerückt, daß sich beide Köpfe auf Augenhöhe begegnen, wobei in dem entsprechenden Bild das Auge des Bauern auch intensiver gezeichnet ist als auf den anderen. War die Erzählung auf die Sprache konzentriert, so ist es in den Bildern die Momentaufnahme, die dominiert. Sieht man von einer Drohgeste des Bauern ab, erzielen sie ihre eindrückliche Wirkung nicht durch die Darstellung von Bewegung, sondern durch die statuarische Nähe, dadurch immer wieder das Memento Mori deutlich machend, das Innehalten im Angesicht des jederzeit möglichen, absoluten Endes …


 

 

 

 

 

 

 

 

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