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Schrift, Bild und
Buch als ästhetischer Prozeß
Peter Marggrafs Kassette „Märzwinter“ in
der Sammlung Hartmann
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Von Isabel Kobus
Die Entstehung des
Buches „Märzwinter“, das Peter Marggraf im Frühjahr 2013 für die Reihe „i
libri bianchi“ geschaffen hat, ist nun in einzigartiger Weise dokumentiert:
In einer hochwertigen, bibliophil und künstlerisch gestalteten Kassette hat
Marggraf Autographen, Zeichnungen, Skripte und Vorstufen des Buches vereint
und der Sammlung Hartmann in Bregenz zur Verfügung gestellt.
Das Ehepaar Gerhard und Brigitte Hartmann sammelt
seit über 45 Jahren Kunst, vor allem Grafiken, Mappen und Autographen, und
hat in dieser Zeit verschiedene, auch thematisch bemerkenswerte Sammlungen
aufgebaut. Ende der 60er Jahre begannen sie mit Werken des Informel, die sie
später der Städtischen Galerie Albstadt stifteten. Die aktuelle Sammlung,
die das Ehepaar seit mehr als zehn Jahren aufbaut, umfaßt handschriftliche
Texte von Autoren und Autorinnen, die mit Werken bildender Künstler
kombiniert oder verknüpft sind. Sie soll die vielfältigen ästhetischen
Möglichkeiten des Dialogs zwischen Schrift und Bild bewahren und
veranschaulichen. In dieser Sammlung, die in der Vorarlberger
Landesbibliothek in Bregenz beheimatet ist, befinden sich bereits fünf
frühere Arbeiten von Peter Marggraf: das Leporello „Totentanz“ sowie Mappen
zum Thema „Kreuzigung“ und zu literarischen Texten von Günter Coufal, Gerd
Kolter und Peter Piontek.
Nun ist „Märzwinter“ dazugekommen. Das Buch
enthält das Hörstück des Autors Hans Georg Bulla zusammen mit sechzehn
Zeichnungen und Radierungen von Peter Marggraf. In einer nahezu
tischplattengroßen Kassette, die in elegantem Blau gehalten ist, hat
Marggraf in eigens dafür erstellten Fächern und Einlegemappen die
verschiedenen Materialien zusammengestellt. Die Kassette enthält mehrere,
teilweise mit Korrekturen versehene Fassungen des Skripts von Hans Georg
Bulla, unter anderem eine separate Version des Stücks, die Bulla für
Radiosender erstellt hat; außerdem handschriftliche Notizen, darunter erste
Ideen und Beobachtungen aus einer Klinik sowie einige Zeitungsberichte zum
Schneewinter Anfang 2013, der in dem Stück eine nicht unwesentliche Rolle
spielt. Peter Marggraf hat zehn ausgewählte Originale der in dem Buch
reproduzierten Zeichnungen beigetragen sowie Konzepte, Entwürfe,
Korrekturausdrucke und Druckernotizen aus dem Entstehungsprozess des Bandes.
Auch das fertige Buch selbst ist in der Kassette enthalten. Diese
umfangreiche Zusammenstellung bietet damit einen außergewöhnlichen Einblick
in die Werkstätten von Autor und Buchkünstler und veranschaulicht deren
Arbeitsprozesse mit ihren verschiedenen Anläufen und Etappen in einer
vollendet gestalteten Form der Aufbewahrung, die selbst noch einmal in
reizvollem Kontrast zu den Materialien steht.
Die Kassette ist ein Unikat, speziell angefertigt
für die Sammlung Hartmann, und befindet sich seit Dezember 2013 in Bregenz.
Immer wieder werden Teile der Sammlung in Ausstellungen der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht, so beispielsweise Anfang 2014 im Tucholsky-Museum der
Stadt Rheinsberg in Brandenburg unter dem Titel „Im Auftrag der Schrift“
oder einige Zeit zuvor am Bodensee im Hermann-Hesse-Museum auf der Höri. Die
aktuelle Sammlung umfasst bislang mehr als 100 Einheiten mit insgesamt rund
1500 Arbeiten. Teilweise reichen die Sammler handgeschriebene Texte
ausgewählter Autoren an bildende Künstler weiter, um diese in
gestalterischen Dialog mit der Schrift treten zu lassen; teilweise werden
bereits fertig gestaltete Werke, die eine Verbindung von Text und Bild
aufweisen, in die Sammlung aufgenommen oder wie im Fall von „Märzwinter“ in
eigens gestalteten Mappen erweitert und dokumentiert.
Das Buch „Märzwinter“ ist im Frühjahr 2013 als
achter Band der Reihe „i libri bianchi“ erschienen. Hans Georg Bullas
Hörstück erzählt vom Werden und Vergehen von Sehnsucht und vom Irrewerden
daran. Peter Marggrafs Zeichnungen und Radierungen zeigen menschliche Körper
in expressiven Haltungen, aus denen Sehnsucht, Verzweiflung bis hin zum
Wahnsinn spricht. Wie schon in den anderen Büchern Marggrafs hat die
Verbindung zwischen Text und Bild keinen illustrativen Charakter, sondern
entwickelt sich assoziativ in der Fantasie des Betrachters.
Die Kassette
„Märzwinter“, vom Künstler und vom Autor signiert, fügt diesem Dialog
zwischen Text und Bild eine weitere Dimension hinzu, indem sie die Ursprünge
des Buches in ihrer Materialität zugänglich macht und damit neue
Fragestellungen ermöglicht: Wie ändert sich der Bezug zwischen Text und
Bild, wenn sie nicht als fertiger Druck, sondern als Autograph bzw.
Typoskript und Zeichnung vorliegen? Welche Bedeutungen lassen sich aus den
Vorstufen des Buches erschließen, wie verhalten sie sich zum fertigen Band?
Wie verändert die sinnliche Wahrnehmung des Materials die Sinnfindung beim
Betrachter? Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und damit
Entmaterialisierung von Text und Kunst gewinnen solche Fragen an Bedeutung –
nicht nur, um die Entwicklung unserer Schrift- und Bildkultur im kulturellen
Gedächtnis zu bewahren, sondern auch, um unser ästhetisches Bewußtsein wach
zu halten und zu schärfen.
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