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Der Flügelaltar von
Peter Marggraf und Gedanken zu Kunst und Kirche heute
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Kreuz auf San Michele,
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Julia Helmke
Ein
Flügel-Altar, ein dreiteiliger Altar aus Eisenplatten. In deren Mitte hängt
Jesus. Ein Torso in Bronze. Auf den beiden Seitenflügeln werden links eine
zwei Personen, die Mutter Jesu, Maria und der Jünger Johannes, und rechts
der Auferstandene dargestellt. Der Raum wird mit einbezogen. Zwei Linien,
die sich in der Christusfigur in dem Mittelteil des Altars kreuzen, laufen
als Linien in roter Kreide an den Wänden des Raumes und treffen sich in
einem Kreuzfragment. Dort, wo auf der anderen Seite der dicken Wand ab und
an die Eingangstür zum Wohnheim schwingt.
Der Flügel-Altar von Peter Marggraf ist kein
Wandelaltar. Die „Alltagsseite“ des Altars ist im zugeklappten Zustand als
Altar nicht mehr erkenntlich. Es ist ein Wandschrank. Im aufgeklappten
Zustand erhält er mit seinen Scharnieren und dem nach hinten in den Schrank
gesetzten Mittelteil eine ausstrahlende Dreidimensionalität, geschlossen
fügt er sich unauffällig in die lang gestreckte Schrankwand ein.
Die Bronzefiguren und die gezeichneten Figuren
sind im Duktus von Peter Marggraf „unfertig und roh gehalten“. Sie stehen in
der Traditionen der italienischen Renaissance, in der es Arbeiten von
Künstlern „non finito“ gab und die gerade dadurch die Betrachtenden mit
einbeziehen und das Werk zur Weiterentwicklung freigeben.
Soll, kann, darf man Christus in den Wandschrank
schließen, wenn der Raum zum abendlichen Karten-Spielen genutzt oder über
die Finanzsituation des Wohnheims diskutiert wird? Wem darf welcher Anblick
nicht zugemutet werden? Ist Christus denn nicht auch im und durch den
Wandschrank präsent? Dies waren einige der Fragen, die bei einem Künstler-
und Plenumsgespräch kurz nach Vorstellung des neuen Kunstwerkes geäußert
wurden, engagiert und ‚ergebnisoffen’.
Gedanken dazu und ein situativer evangelischer
Blick auf das Verhältnis von Kunst und Kirche, der streiflichtartig mit
einer historischen Einordnung und Annäherung beginnt:
„Gerade die moderne Gegenwartskunst mit ihren
fragmentarischen Komponenten verweist auf die Unvollkommenheit und
Zerbrechlichkeit des Lebens, die uns allen eigen ist. Aber auch die Klassik
spielt gegenwärtig wieder eine starke Rolle – lenkt sie doch, bei aller
Unberechenbarkeit des Lebens, den Blick wieder zurück auf das, was bleibt,
was trägt.“ (Dr. Johannes Friedrich, Landesbischof in Bayern und Leitender
Bischof der VELKD, 2007)
„Es sind vor allem künstlerische Äußerungen
gewesen, die unsere Kultur geprägt, weiterentwickelt und immer wieder auch
hinterfragt, reflektiert und herausgefordert haben.“ (Dr. Margot Käßmann,
Landesbischöfin in Hannover, Synodenbericht 2007)
Kunst
und Kirche – in Raum und Zeit
Die Frage der Möglichkeit von Kunst im Kirchenraum
ist eigentlich eine sehr moderne Frage! So schreibt Hans-Werner Dannowski,
Nestor und Mentor des Dialoges zwischen der Kirche und den Künsten in der
hannoverschen Landeskirche seit den 1980er Jahren und bis heute in seiner
Einführung zu der ersten großen zeitgenössischen Kunstausstellung in
Hannover „Kunst in Kirchen Raum geben“ (1993).
Denn: Früher hatte Kunst Raum in den Kirchen; die
Bedeutung eines Kirchenraumes über sein semiotisches System war die
Präzision seiner künstlerischen Definition: Immer bedeutete der Raum etwas,
war künstlerische Verdichtung, die begriffen wurde. Und heute? Seine These
ist: Die Kirchen bedürfen der Kunst im Sinne einer Neudefinition des
Kirchenraumes; denn ohne solche eine Neudefinition bleibt die Begegnung mit
dem Kirchenraum ohne eindrückliche Folge, sonst fehlt dem Kirchenraum die
Dimension der Infragestellung, der Vertiefung unserer Ahnung von „Gott, für
den der Kirchenraum ein unzulängliches Haus, aber doch immerhin ein Hinweis
und ein Zeichen ist“
Die Reformation war hier in der Tat ein
bedeutsamer Einschnitt. Kirche ist Kirche durch das, was in ihr geschieht.
Die Konzentration auf die Verkündigung und das gemeinsame Hören des Wortes
Gottes, auf die Feier des Abendmahls als unmittelbares sinnliches Zeichen
der Erinnerung, Vergebung und Stärkung ließ den Raum und dessen
künstlerische Gestaltung in den Hintergrund treten.
Unredlich wäre es, die gesamte Geschichte des
Verhältnisses zwischen Kunst und Kirche auf diese wenigen Zeilen zu
reduzieren. Mit einem solchen Einstieg möchte ich, mit gewisser Vergröberung
und Verkürzung, im Wissen um einen weiten Horizont einige Haltepunkte für
Auge und Geist setzen, die mit dem späteren Blick auf Peter Marggrafs
Altar-Kunstwerk in Hannover/Mittelfeld vielleicht hilfreich sind.
Die protestantische Kirche verstand und versteht
sich als eine „Kirche des Wortes“. Alles, was mit Bildern – seien es
gemalte, auf der Theater- oder Tanzbühne oder in bewegten Bildern auf einem
Zelluloidfilm dargestellte zu tun hatte – , wurde von der Kirche über
Jahrhunderte hinweg kaum beachtet, kritisch beäugt oder gar verboten.
Martin Luther hat das „Abthun“ der Bilder anders
als Bilderstürmer jener Zeit (Ikonoklasmen und starke Bilderverehrung haben
die Kirchengeschichte seit jeher begleitet) nicht gefordert; er sah sie vor
allem in didaktisch-katechetischer Hinsicht als sinnvoll an. Bilder waren
für ihn „Adiaphora“, im Sinne von gleichgültig und ethisch neutral,
Dies hat in einer gewissen künstlerischen
Konzentration zu der hohen Blüte evangelischer Kirchenmusik beigetragen, die
in ihren bisherigen und in neuen Formen einen herausgehobenen Ort im
Michaeliskloster in Hildesheim findet. Es hat zu einer Sprachsensibilität
und einem literarischen Können geführt, dessen Nährboden oft in Pfarrhäusern
lag – Herder oder Hölderlin sind frühe Beispiele hierfür, die
Wiederentdeckung von Paul Gerhardt im Jubiläumsjahr 2007 ein aktuelles
Beispiel. Insgesamt ist jedoch auch hier der künstlerische und kulturelle
Wert lange zu gering geschätzt, zu wenig gepflegt und der Anschluss an
Weiterentwicklungen damit erschwert worden.
Eine theologische Reflektion über das Verhältnis
zur Kunst und den Künsten, eine Bild-Theologie hat es insgesamt nicht oder
zu wenig gegeben – eine Ausnahme bildet nach der weitgehenden Emanzipation
der Künste von der Kirche spätestens im Zeitalter der Aufklärung der
Berliner Theologe, Philosoph und Kunstkenner Friedrich D. E. Schleiermacher.
Das Lob der geistlichen Nüchternheit und intellektuellen Klarheit führte oft
zu einer Angst vor dem Bedeutungsoffenen, einer Scheu vor einem emotionalen
Angerührt- bis Ergriffen- oder sogar Überwältigtsein, das gerade die
bildlichen und darstellenden Künste auslösen.
Hier hat in den vergangenen Jahrzehnten ein
Umdenken eingesetzt. Vorangetrieben wurde dies von Personen, die auf Seite
der Theologie wie auf Seiten der Kunst immer den Dialog miteinander gesucht
haben, als Grenzgänger wie auch als überzeugte Vertreter ihrer Zunft. Kurz
vor der Jahrtausendwende, als klar wurde, wie sehr wir in einer Bilderwelt,
in einer medial geprägten Welt leben, ist in den protestantischen Kirchen
ein Prozess zu „Kultur und Protestantismus“ in Gang gesetzt worden. Dieser
Prozess mündet 2002 in der EKD-Denkschrift mit dem aussagekräftigen Titel
„Räume der Begegnung“. Und gerade der Bereich der zeitgenössischen bildenden
Kunst wird hier besonders hervorgehoben.
Anerkannt wird darin, dass eine theologische
Reflexion und auch der konkrete Dialog mit Kunstschaffenden vielfach
vernachlässigt wurden, und hier neue Impulse nötig sind. Mit der Theologin
und Literaturwissenschaftlerin Dr. Petra Bahr gibt es seit 2006 eine
Kulturbeauftragte für die EKD. Leitlinien und manche Synodenbeschlüsse
verankern auf Ebene der Landeskirchen das Thema „Kunst und Kirche“. In ihrem
Abschlussbericht hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Kultur in Deutschland“ Ende 2007 den Beitrag der Kirchen als eine der
wichtigsten Kräfte ausdrücklich gewürdigt, dies bedeutet eine Ermutigung
aber auch eine Herausforderung nach innen wie nach außen – oder wie es Petra
Bahr formuliert: Fundament statt Ornament.
Zeitgenössische Altäre und
Altarbilder
Wie
sieht die Situation in Niedersachsen aus? Einen Fokus möchte ich aus
gegebenem Anlass auf den Bereich von Altar und Altarbildern legen und mich
hierauf beschränken.
Horst Schwebel, früherer langjähriger Direktor der
evangelischen Forschungseinrichtung in Marburg, des „Institutes für Kirchbau
und kirchlicher Kunst der Gegenwart“ und einer der profiliertesten
Grenzgänger hebt in seinem höchst lesbaren und lesenswerten Grundlagenwerk
„Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konfliktes“ (2001) im
Abschnitt über das 20. Jahrhundert die Evang.-lutherische Landeskirche
Hannovers hervor. Er schreibt von einem neuen „Altarbildprogramm“, das seit
den 1990er Jahren durchgeführt wird und eine im Vergleich zu anderen
protestantischen Landeskirche große Anzahl zeitgenössischer Altarbilder hat
entstehen lassen.
So sind bis heute ca zwanzig Altarbildgestaltungen
realisiert und dauerhaft installiert worden. Auch wenn sich dieser Vergleich
angesichts Entwicklungen in Süd, West- und Ostdeutschland (als Buchtipp:
Markus Zink (Hg), Siehe! Zeitgenössische Kunst in evangelischen Kirchen,
Frankfurt 2007) in letzter Zeit wohl etwas relativiert hat: Namen wie u.a.
Werner Tübke, Johannes Grützke oder Werner Petzold für Kirchengestaltungen
zu gewinnen ließ aufhorchen, eine Hinwendung zur Figuration wurde zu Beginn
der 90er Jahre sichtbar und seitdem heftig diskutiert.
Zusammenfassend schreibt er in einem späteren
Aufsatz: „Im Unterschied zu anderen Religionen hat das Christentum in seiner
westlichen Gestalt nicht allein seine heiligen Texte der historischen Kritik
ausgesetzt, sondern hat sich hinsichtlich der Bilder in den Kirchen auf die
Kunst der Moderne eingelassen. (…) Wird in einen Kirchenraum ein Kunstwerk
aufgenommen, hat man damit deutlich gemacht, dass man um das „Nicht-Sagbare“
weiß. Recht verstanden weiß auch die christliche Verkündigung, dass es über
alles Sagen hin aus einen Überschuss, ein Trans, gibt. In den Kunstwerken
wird etwas vermittelt, das ohne sie zu vermitteln nicht möglich und durch
Worte nicht ersetzbar ist. Die Begegnung der Kirche mit der Gegenwartskunst
bedeutet darum auch, am Prozess des Kreativen zu partizipieren.“
(www.kirchbautag.de/alte_seite/onlinetexte/kirchenraumgegenwartskunst.htm)
Eine wahre und dramatische Erschütterung, die sich
tief in das Gedächtnis der Landeskirche und weit darüber hinaus eingetragen
hat, hat zugleich den Prozess einer Auseinandersetzung und Wahrnehmung für
das komplexe Thema von zeitgenössischer Kunst im Kirchenraum neu angestoßen,
ja ermöglicht:
Anfang der 1990 Jahre bietet Georg Baselitz der
Gemeinde zu Luttrum/Kreis Hildesheim als Geschenk ein Bild als Altarbild an.
Das 314x210 cm große Bild, der „Tanz ums Kreuz“, wird bald darauf zu einem
Streitfall, der die Gemeinde spaltet. Ein großes Bild für einen kleinen
Kirchenraum. Pater Friedhelm Mennekes stellt es 1992 der Gemeinde und einer
interessierten Öffentlichkeit vor, in der darauf folgenden Zeit eskaliert
die Situation derart, dass eine erhebliche Anzahl von Gemeindegliedern sich
umpfarren lässt, es kommt zu persönlichen Angriffen von Befürwortern wie
Gegnern des Kunstwerkes, Vorwürfe von Blasphemie und ignoranter
Kunstfeindlichkeit wechseln sich ab. Am Ende nimmt der Künstler das Bild
wieder zurück, bis heute ist es im Privatbesitz.
Ein offener Prozess
„Der
Tanz um das Kreuz“, bewusst wird das Werk im Jahr 2002 zum Titelbild der
EKD-Kulturdenkschrift ausgewählt, wird zu einer Lernerfahrung: Breit ist der
Graben geworden zwischen der Kirche und der Kunst. Zu lange hat die Kirche
versäumt, den Dialog mit den zeitgenössischen Künsten und Künstler/innen zu
suchen, zugleich braucht es jedoch auch eine hohe Sensibilität für den
jeweiligen (Kirchen-)Raum als geprägten Raum. Es braucht, kurz gesagt, eine
Kontextrelevanz und Kontextsensibilität. Es ist ein Weg, der ein Prozess ist
im Miteinander – im Miteinander von Kunstschaffenden mit dem jeweiligen
Raum, im Miteinander von Kunstschaffenden mit dem Thema Altar-Bild, im
Miteinander von Gemeinde und Kunstschaffenden. Dieser Weg, dieser Prozess
ist in den letzten Jahrzehnten sehr spannend gewesen und hat zu ganz
unterschiedlichen Antworten geführt, seien es die Altarwandgestaltung von
Stephan Balkenhol in Wolfsburg, die Altarbilder von Hermann Buß,
Altargestaltung von Madeleine Dietz in Bad Bederkesa oder jüngst Gunther
Gerlach in Buchholz/Nordheide und hier nun auch Peter Marggraf.
Mit dem Frankfurter Theologen und
Kunstsachverständigen Markus Zink teile ich folgende Ansicht: „Die
zeitgenössische Kunst steht nun weniger als noch vor zwei Jahrzehnten unter
dem Zwang sich selbst zu finden, Stile zu bilden und Maßstäbe zu definieren.
Heute ist jede Stilrichtung möglich. Das Werk muss keinen anderen Normen
gehorchen, als in sich schlüssig zu sein (…) Damit bieten sich auch die
besten Voraussetzungen für den Dialog mit den Künsten. Während noch vor 20
Jahren darüber diskutiert wurde, ob sich autonome Kunst ernsthaft auf
religiöse Themen einlassen darf, wird die Frage heute von der
Selbstverständlichkeit eingeholt, mit der viele Künstler und Künstlerinnen
für die Kirche arbeiten.“ (a.a.O., 11)
Die Symbolik spielt dabei immer noch und wieder
eine wichtige Rolle, im kirchlichen Kontext heißt das vor allem: das Kreuz.
Und gerade hier gibt es oft Mischformen von plastischer und malerischer
Arbeit zu sehen.
Alle bisher genannten Altargestaltungen sind
jedoch in historischen Kirchenräumen zu finden bzw. in eigenen sakralen
Räumen wie Krankenhauskapellen. Sie sind eingebunden in den Kontext eines
Ortes, der eine bestimmte Prägung und Ausrichtung hat und nehmen Bezug auf
die vorfindliche Substanz des Raumes und seiner Gestaltung.
Der Altar von Peter Marggraf hat sich vor allem
räumlich anderen Herausforderungen und Bezugspunkten zu stellen
Der Raum
Sein
Altar befindet sich in einem Raum, der als multifunktionaler
Versammlungsraum, Gemeinschaftsraum und Sitzungsraum geplant worden ist. Im
Eingangsbereich des Wohnheimes angesiedelt, wirkt dieser mit seiner
teilweise verglasten Front hell und einladend und zugleich funktional.
Deutlich spürbar ist, dass die Schwelle, die ein Wohnheim für Menschen mit
schweren Körperbehinderungen darstellt, das Gefühl einer Abgeschlossenheit,
Zurückgezogenheit vermindert und durchlässiger gemacht werden soll. Ein Raum
der Stille, Orte für Gebet und gottesdienstliche Feier fehlen bisher im
Wohnheim. Der Wunsch nach einem Altar als Minimalausstattung ist vorhanden,
jedoch auch die Auflage, dass der Raum pflegeleicht und weiter für gesellige
Zusammenkünfte und dienstliche Sitzungen genutzt werden kann und der Altar,
und d.h. vor allem das Kreuz, dann nicht „stört“.
Peter Marggraf nimmt die Herausforderung an. Er
steht damit in der Tradition des Umgangs und der Schwierigkeiten mit
Multifunktionsräumen, die in den 1970er Jahren eine Spielart des
evangelischen Kirchbaus prägten, wobei der Denkansatz sich noch einmal
unterscheidet. In kirchlichen Multifunktionsräumen sollte bewusst
Gottesdienst gefeiert, aber eben auch und zugleich bewusst gespielt,
gegessen und gearbeitet werden. In Mittelfeld kommt der gottesdienstliche
Aspekt zu anderen bereits praktizierten dazu. „Kirchbau ist Zweckbau.
Kirchbau ist nicht Sakralbau, nicht gebaute Liturgie und nicht umbautes
Mysterium. Wenn der Ort der versammelten Gemeinde die Welt ist, wird die
Unterscheidung zwischen Sakral- und Profanbau hinfällig. Wie an Werk und
Person Jesu erkennbar ist, bleibt der Ort Gottes die Welt in ihrer vom
Menschen erkannten Wirklichkeit, die sich durch keine sakrale Optik außer
Kraft setzen läßt.“ So schreibt es 1971 der spätere Präses der rheinischen
Kirche Peter Beier und setzt zwei Jahrzehnte später kritisch dazu:
„Ausgeblendet wird die psychologische Komponente des Kirchbaus, die insofern
beachtlich bleibt, als Gemeinde sich ja eben nicht (...) in gewöhnlichen
Räumen versammeln will, sondern im ‚anderen‘ Raum, nicht in einer anderen
Welt, aber im von gewohnten Räumen unterschiedenen Raum.“(in: R. Bürgel
(Hg.), Raum und Ritual. Kirchbau und Gottesdienst in theologischer und
ästhetischer Sicht, 1995, S. 39-45)Mit einem einfachen und doch ganz
wirkungsvollen Mittel verbindet Peter Marggraf den gewohnten Raum mit dem
unterschiedenen Raum: Zwei Kreidestriche, die die Seitenwand des
Versammlungsraumes markieren und die ausgehen bzw. zusammen laufen in den
Kreidestrichen im Zentrum des Altars: In Jesus Christus selbst. Fast
verwegen scheinen diese Kreidestriche auf der sauberen Wand und dabei
wunderbar alltäglich.
Für mich macht er deutlich: Es gibt nicht die eine
klare Trennung zwischen Gott und Welt, zwischen Gottesdienst und Gottes
Dienst in der Welt und für die Welt - was „Diakonie“ ja bedeutet in seinem
Wortsinn und die Annastift-Gründerin Anna von Borries als Leitspruch
proklamierte: „Wir wollen ein Ort sein, an dem sich Nächstenliebe ereignet“.
In Jesus Christus kommt Gott und Mensch zusammen, durchkreuzt die
Vergänglichkeit die Ewigkeit, das Leben den Tod und die Liebe den Schmerz.
Und das
Kreuz…?
Kunsthistorisch trat zu dem Altar, der bereits zur
Zeit der frühen Kirche als Tisch des Herrn, als Zeichen der Beständigkeit,
Heiligkeit, Ewigkeit dreidimensional den Raum prägte, ab dem Mittelalter das
zweidimensionale Bild, als Ausdruck für Anschauung, für individualisierbare
Geschichten hinzu.
Peter Marggraf, der Bildhauer und Zeichner, nimmt
in seinem Mittelfelder Altar „Es ist vollbracht“ beides auf, ohne die
Funktionalität und Nüchternheit des umgebenden Raumes außer Acht zu lassen.
Sein Venedigprojekt hat einen Ausgangspunkt ihn den unzähligen
Kreuzigungsdarstellungen, Kreuzabnahmen und Grablegungen, die er in der
dortigen reichhaltigen Tradition und Schulen der künstlerischer Gestaltung
während seiner Aufenthalte dort gesehen hat. Ausschnitte dieser historischen
künstlerischen Aussagen tiefen menschlichen Empfindens wurden zum Thema
seiner Arbeit und prägen ihn bis heute. Peter Marggraf nimmt traditionelle
Formen und Bildprogramme auf, sein Tryptichon ist in dieser Hinsicht
klassisch und damit auch verständlich, zugleich steht er in der Tradition
der zeitgenössischen Kunst, in deren Werke jeweils die Erfahrung und das
Gestaltungsvermögen eines Künstlers ihren Niederschlag finden, mit
künstlerischer Freiheit und neuen Ansätzen, die neues Sehen, neue
Erfahrungen erschließen wolle, als Mittler des Bleibenden und Gegenwärtigen.
In der Mehrzahl aller Altargestaltungen ist im
Altarbereich ein Kreuz oder Kruzifix auf, neben, hinter, über dem Altar
allgemein üblich. Sofern man nicht auf ein historisches Kruzifix
zurückgriff, stellt sich die Frage, wie ein zeitgemäßes Kruzifix auszusehen
habe, in dem sowohl die Menschheit als auch die Gottheit Christi angemessen
zum Ausdruck gebracht würde. Horst Schwebel meint dazu: „Während viele
Künstler durch Anklänge an den romanischen Christus den Erlösungsaspekt
hervorhoben, betonten andere Christi Leiden und Sterben, seine
Gottverlassenheit. Künstlerisch sind die Kruzifixe des Leidens gegenüber den
Kruzifixen des Sieges Christi über den Tod die stärkeren. (…) Vom Künstler
indes zu verlangen, er müsse Kreuz und Auferstehung, Menschheit und Gottheit
„theologisch richtig“ in Beziehung bringen, wäre unangemessen. Sie verkennt
die Möglichkeiten des visuellen Mediums“, (a.a.O.)
Peter Marggraf formt ein Kreuz, das zart wirkt und
fragil, in seiner Bronze fein und, wenn das Licht gut steht und bis in den
Wandschrank hineinfällt, glänzend. Das lebendig wirkt und dadurch das Leiden
des gemarterten Mannes am Kreuz nicht ausspart. Die Extremitäten sind nicht
ausgeführt. Hier steht nicht eine naturgetreue Abbildung im Vordergrund,
sondern ein Ausdruck, der die Verletzlichkeit des Evangeliums, der guten
Nachricht noch deutlicher macht und erinnert an “Christus hat keine anderen
Hände als unsere Hände“, ein Teresa von Avila zugesprochener Satz, der nach
manchen Quellen bereits im 3. Jhd. in den Katakomben geschrieben worden ist,
und in den 1980er Jahren befreiungstheologisch als Kraft- und
Widerstandsquelle gepredigt und gedeutet wurde. „Non finito“ - Das kann
heißen: Mein Werk in dieser Welt ist noch nicht zu Ende. Oder: Ich bin noch
nicht fertig mit dieser unfertigen Welt. Und die, die „non finito“, nicht
perfekt sind, gerade denen bin ich nahe – denn, wer entscheidet über das
„finito“ – in dieser Welt und darüber hinaus? Wer stört also wen? Wer wird
von wem gestört und was muten wir einander zu?
Jesus Christus im Wandschrank und in einem
Multifunktionsraum eines Behinderten-Wohnheimes. Die Räume reichen nicht
aus, um einen eigenen gottesdienstlichen Raum zu schaffen. Ich glaube,
dieser Christus hält das ganz gut aus. Christus ist auch im Wandschrank
präsent. Lieber wäre es mir, wenn wir den Wandschrank öffnen würden. Und
offen halten würden. Um der Kraft des Kunstwerkes von Peter Marggraf willen
und um der Menschen willen, die die Kraft Christi brauchen und erinnert,
gestärkt und provoziert werden von Christus und dieser
Christus-Interpretation. Denn auch räumlich glaubet der Mensch.
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Der Flügelaltar im Annastift Hannover. 2008 |
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