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Die Steine von Venedig
Gehen, sich auf den Weg machen
Von Michael G. Fritz
Wer in Venedig war,
ging auf den Steinen dieser Stadt. Er reihte sich ein in die unablässige
Folge derer, die über Jahrhunderte hinweg allein durch ihre Sohlen die
Fußböden blankreiben und Dellen in sie hineintreten. Auf den Platten eilte
Casanova zu einer Verabredung, spazierte Ezra Pound, der sich weigerte zu
sprechen, täglich auf dem zattere, dem einzigen Punkt in Venedig, wo immer
die Sonne scheint; Joseph Brodsky, für den die Serenissima das Paradies war,
eine lichte Verheißung, und Djagilew, der Tänzer werden wollte, aber
Impresario wurde, der dennoch über die Steine nur geschwebt haben wird und
auf seinen Grabstein schrieb Venedig, ständige Anregerin unserer
Besänftigungen; Hemingway und Adriana Ivancich, der 50jährige Schriftsteller
und die sehr viel jüngere venezianische Adlige, von ihm figlia genannt, die
beiden Verliebten, die sich gegenseitig ihr Venedig zeigten; Tintoretto und
Giovanni Bellini und Tizian; Napoleon und Mussolini. Sie alle erschienen
auch in den beiden markanten Kirchen Santa Maria della Salute und Chiesa di
San Marco. Das gehört dazu, wenn man der Lagunenstadt seine Reverenz
erweist. Wer dort nicht war, war nicht in Venedig; die vielen Millionen
Besucher pro Jahr handeln danach. Kriege und Revolutionen verschonten die
Fußböden vor Zerstörung, einzig Schritte hinterließen ihre Spuren.
Peter Marggraf, der Bildhauer, Gründer der San
Marco Handpresse und ebenso unermüdliche wie leidenschaftliche Dokumentarist
venezianischer Kultur, fuhr schon als Student (das erste Mal 1968) zur
Biennale, später mit Skizzenblock, dann mit dem Fotoapparat. Er hat die
Fußböden der beiden Kirchen fotografisch festgehalten.
Das Wandbild „Gehen,
sich auf den Weg machen“ entstand für eine Schule, genauer: für das
Diakonie-Kolleg Wolfenbüttel – Schule für Soziales und Gesundheit. Die Fotos
aus seinem Fundus druckte Marggraf schwarz-weiß aus und zog sie auf
Holzplatten, um sie anschließend zu kolorieren. Das Bild von beeindruckenden
sieben Meter mal einmetervierzig vereint Bodenplatten der beiden Kirchen und
der Mole von San Michele, der Friedhofsinsel: eine Reihung von geometrischen
Figuren, die sich zu Mustern fügen. Die ästhetische Konzeption sieht im
Arrangement die perspektivische Verkürzung vor, so daß eine Bewegung
entsteht, die mit Gehen übersetzt werden kann – ein Gehen wohin?
Zuallererst fällt mir Venedig ein. Wer sich wie
ich in der Stadt aufgehalten hat, hat nicht nur Spuren hinterlassen: Er ist
unzweifelhaft süchtig geworden wie nach einer schönen Frau, zu der sich auf
den Weg zu machen man keine Mühe scheut.
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