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Von Visitenkarten, Steckbriefen und der täglichen Arbeit
Peter Marggraf – Bildhauer, Drucker, Büchermacher Rede zur
Eröffnung der Ausstellung im Kulturgut Nottbeck
Peter Marggraf – Bildhauer, Drucker, Büchermacher: Das wäre, meine Damen und
Herren, doch eine recht bemerkenswerte, außergewöhnliche Visitenkarte, würde
man sie in die Hand gedrückt bekommen oder fiele sie einem aus einem Buch
entgegen. Eine Visitenkarte, die einen auf der Stelle neugierig machen würde
auf mögliche Werke und ihren Urheber. Denn: Welche Aktivitäten sind da
sozusagen in einem Atemzug genannt.
Peter Marggraf hat, so viel ich weiß, noch keine
solche Visitenkarte drucken lassen; und würde er das tun, so setzte er
sicherlich gleich
noch etwas weiteres dazu – Bildhauer,
Zeichner, Drucker, Büchermacher. Das wäre dann auch der richtige Titel
für einen Oeuvre-Katalog, der folgerichtig sehr opulent ausfallen müsste. Vor
Jahren hat Peter Marggraf aber in einer Art Steckbrief sich selbst
beschrieben, es ist eher eine Art Arbeitsplatzbeschreibung, eine
Tätigkeitsübersicht – was bei einem, dem jeder Tag ohne Beschäftigung in der
Werkstatt ein verlorener Tag ist, nicht verwundern dürfte. Übrigens – seine
Werkstatt ist aufs Prächtigste ausgestattet.
Peter Marggraf, heißt es im Steckbrief, „ist ein Bildhauer. Er stellt
lebensgroße Skulpturen aus Ton her. Immer steht im Mittelpunkt seiner Arbeit
der Mensch.“ Es sind diese Plastiken aus holländischem Mangan-Ton, die nach
dem Brand grau schimmern, als wären sie aus Eisenguß, mit denen er bekannt
geworden ist. Plastiken, die einzelne menschliche Figuren zeigen, immer sind
es einzelne, in ihrer Verletzbarkeit und Verletztheit, erkennbar
zusammengesetzt aus einzelnen Platten, Stücken, Scherben – wie aus einer
archäologischen Grabung geborgen und mühevoll wieder zusammengesetzt, um
noch einmal diesen Menschen zu zeigen. Diese Figuren, hockend, kauernd,
unter den eigenen Armen Schutz suchend, wirken in ihrer verstörenden
Körperlichkeit zugleich so archaisch wie heutig – ein jeder Blick in die
Fernsehnachrichten liefert den quälenden Beweis. Was tut der Mensch dem
Menschen an, was muß ein einzelner ertragen, was kann er aushalten, wie
sucht er einen Rest von Würde im verbliebenen Leben zu retten – das fragt
jede dieser Figuren mit stummer Nachdrücklichkeit den, der ihnen
entgegentreten mag. Und es ist diese existentielle Ernsthaftigkeit, die
Peter Marggrafs Kunst ausmacht und seine Zeitgenossenschaft beglaubigt.
Die zeigt sich in gleicher Weise auch in den
zahlreichen Bronzeplastiken, die Peter Marggraf in den letzten Jahren
zunächst in Wachs modelliert und dann hat gießen lassen. Und diese Bronzen,
oft sind es Torsi, armlos, oder Büsten, haben keine exquisite Patina, keine
auf Glanz und Glänzen hin polierte Oberfläche, nein, jede trägt die Spuren
der Hände, aus denen sie hervorgegangen ist. Da sind Erhebungen stehen
geblieben und von den Fingern eingedrückte Tiefen, Grate und Schrunden. Als
sei der Prozeß ihrer Entstehung angehalten, als seien sie noch auf dem Weg
zu sich selbst – non finito, so
heißen diese vermeintlich unfertigen, in einer langen Tradition stehenden
Kunstwerke. Denn die Vollendung, ein Vollständig-sein verweigert ihnen der
Künstler, er zeigt Wunden, Behinderungen, Deformationen, er zeigt ein
Beschädigt-sein. Diese Darstellungen aber als destruktive, entwürdigende zu
verstehen, wäre ein Missverständnis. Peter Marggraf zerstört nicht mit
Vorsatz, er findet um sich herum Erschütterung und Zerstörung vor und sieht,
wider alle Augenscheinlichkeit, auch die Würde. Man blicke nur in die
Gesichter
seiner Figuren, auf deren geschlossene
Augen – dem Sog der Stille und melancholischen Ergebenheit kann man sich
nicht entziehen. Und er möchte, vielleicht wider besseres Wissen, seinen
Glauben an das Anders-Mögliche nicht verloren geben.
Es ist, so gesehen nicht, verwunderlich, daß Peter
Marggraf in jüngster Zeit um Arbeiten für den sakralen, den kirchlichen Raum
gebeten wurde. So steht nun in einer katholischen Kirche in Göttingen eine
Bronzeplastik zum Gedenken an die jüdische Christin Edith Stein, die in
Auschwitz ums Leben gebracht wurde. Und in einer westfälischen Kirche, der
evangelischen Kirche in Borken, ist im Altarraum eine Christusfigur
angebracht, ein „unfertiger Christus“, wie es heißt, tatsächlich ein Bild
des Menschensohns. Und selbst wenn dieser „Borkener Christus“ vor einem
Triptychon aus Goldpaneelen mit geöffneten Armen zu schweben scheint – er
ist ebenso ein Einladender wie ein um
communio, ein um Gemeinschaft Bittender.
Zurück zum Steckbrief: Peter Marggraf, heißt es da
weiter, „zeichnet und radiert. Er sucht mit einem dicken Graphitstift auf
weißem Papier, mit dem Messer im Holz oder mit der Radiernadel im Metall die
Konturen seiner Menschen“. Und das, was so entsteht, entweder als
Einzelblätter oder als Grafik in kleiner Auflage auf der eigenen Presse
gedruckt (ja, er ist eben auch ein Drucker), sind keine glatten,
dekorativen, die Augen mit farbigen Effekten schmeicheln oder sie veristisch
täuschen wollenden Darstellungen. Er läßt auf der Fläche des Papiers oft nur
die Umrisse gelten, Gliedmaßen und Körper sind angedeutet, die Gesichter
bleiben schemenhaft, eine reduzierte Figürlichkeit. Da wird kein filigranes
Virtuosentum zelebriert, das ist vielmehr die gestische Bewegung des Arms,
der expressiv zeichnenden Hand. Und es sind unverkennbar seine Menschen, die
da auf dem Papier stehen – non finito,
noch
nicht vollendet, noch nicht vervollständigt, noch nicht angekommen auch sie.
Und schließlich heißt es im Steckbrief: „Peter
Marggraf liest. Er findet in literarischen Texten seine Menschen, und er
stellt diese Texte seinen Arbeiten gegenüber. Es sind Texte von Ingeborg
Bachmann, Samuel Beckett, Franz Kafka, Georg Büchner und Georg Trakl.“ Diese
Namensliste ist, wie der Steckbrief, an die zwanzig Jahre alt – seither sind
einige Namen dazu gekommen, denn Peter Marggraf ist ein eifriger Leser und,
ja, ein fleißiger Büchermacher. Nelly Sachs, Heinrich Heine, Rainer Maria
Rilke, Jean Paul, August von Platen, Brüder Grimm, Thomas Mann. Und
dazwischen Wilhelm Steffens,
Gerd Kolter, Clemens Umbricht, Peter
Piontek, Johann P. Tammen, Peter Gosse, Christine Kappe, Hermann Kinder und,
ja, auch Hans Georg Bulla neben einigen mehr. Wer diese Namen, diese Titel (Anrufung
des großen Bären, Brief an den Vater,
Tod in
Venedig)
liest, gerät damit in eine literarische Welt ganz eigener Art – Texte der
klassischen Moderne, kanonische Texte des 19. Jahrhunderts, Texte
zeitgenössischer Autoren und Autorinnen. Ein außergewöhnliches, wenn nicht
verwunderlich wirkendes Programm, wenn man daran denkt, was ansonsten in den
Regalen und auf den Stapeltischen
einer landläufigen Buchhandlung zu finden
ist. Was mag das für ein Verleger sein, der alle seine Bücher in
bibliophiler Ausstattung herausbringt, allesamt reich mit Bildern versehen
oder mit beigelegten Grafiken, von Hand gebunden, in kleiner Auflage nur
erscheinend. Nun ja, es ist ein Ein-Mann-Unternehmen, der Verlag heißt San
Marco Handpresse, der Büchermacher, Sie wissen das, Peter Marggraf.
Seine Leidenschaft für das Büchermachen trägt und prägt das Programm, nun
schon im einundzwanzigsten Jahr. Doch es geht ihm nicht um das Machen
allein, obgleich er nichts lieber hört, vermute ich, als das Klackern der
alten Linotype-Setzmaschine, Baujahr 1928, und das sanfte Anheben der
leeren, das glückliche Ablegen der bedruckten Bögen in der Presse. Aber er
nimmt nicht einen beliebigen, gerade verfügbaren Text her und steckt ihn
frisch gedruckt zwischen zwei Buchdeckel. Nein, was unter seinen Händen zu
einem Buch werden soll, das hat er sich zuvor angeeignet, es sich zu eigen
gemacht. Er sucht und findet Texte, die ihm nahe kommen und ihn in seinem
eigenen Tun bestärken können, seiner künstlerischen Arbeit als Bildhauer,
Zeichner, Drucker. „Er findet sich wieder“, heißt es im Steckbrief, „in den
Figuren der gelesenen Literatur und sieht seine Zeichnungen und Drucke.“
In den letzten Jahren ist eine weitere, mit
Engagement betriebene Beschäftigung hinzugekommen – Peter Marggraf hat
zahlreiche Mappen, Kassetten und Boxen angefertigt, Behältnisse für die
Aufbewahrung seiner Kunst und seiner Bücher, Behältnisse, für die sich so
recht keine eigne Bezeichnung finden lässt. Eins ist diesen Objekten
gemeinsam – sie gehen aus von einem Buch, das er als Büchermacher gesetzt,
gedruckt, gebunden und dem er Zeichnungen, Monotypien oder Grafiken
beigegeben hat. Sie beinhalten also „Bilder und Wörter“ und präsentieren sie
in einer neuen Zusammenführung: Da ist das fertige Buch, das jedoch in
seiner Entstehung vorgestellt wird, mit den verschiedenen Fassungen des
Skripts des Autors, mit den Druckproben und Korrekturen des Büchermachers;
und da sind die originalen Zeichnungen oder Grafiken, die im Buch
wiedergegeben sind. Das alles hätte Platz in einer schlichten Mappe und
würde die traditionellen Erwartungen an eine Werkstattdokumentation („Wie
dieses Buch entstanden ist“) nicht übersteigen. Aber Peter Marggraf geht
regelmäßig über ein so schlichtes Konzept hinaus, die Boxen und Kassetten
enthalten mehr an Beigaben, Glasreliefs beispielsweise oder gar aufgelesene
Steine, sie sind nobel-großzügig gefertigt und übertreffen die allein mit
dem Buch verknüpfte Vorstellung – es sind kleine Wunderkammern voller
Überraschungen,
Kunstobjekte
ganz eigner Art.
Bildhauer, Zeichner, Drucker, Büchermacher – gibt es eine Verbindung zwischen all diesen Aktivitäten, gibt es ein Antriebszentrum, das Peter Marggraf zu diesen durchaus zeit- und kraft- und gedankenaufwendigen Betätigungen immer wieder nötigt?
Ich denke,
ich habe eine Formel gefunden, schließlich
kenne ich ihn schon an die dreißig Jahre, eine Formel, die etwa so lauten
könnte: Peter Marggraf ist ein Handarbeiter in allen seinen Disziplinen,
Handarbeiter im alleranspruchsvollsten Sinn, sage ich gleich dazu, ein
Handarbeiter mit Kopf, ein veritabler
homo faber.
Er will durch die Arbeit der Hände die Dinge, das
Material, den Stoff des Lebens wahrnehmen, er will mit ihnen seine eignen
Erfahrungen machen können, er will aus dem, was er in Händen hält, etwas
schaffen, etwas erschaffen, etwas Dingliches, für sich allein Einstehendes,
das aber Mitteilung macht von den Prozessen seiner Entstehung und dem Grund
seiner Existenz. Das bliebe aber trotz aller Leidenschaft eine hohle
Anstrengung, wäre da nicht jene existentielle Ernsthaftigkeit,
mit
der er sich seines Lebensthemas annimmt – dem Bild des Menschen.
Da hätten Sie jetzt, meine Damen und Herren, eine
etwas ausführlichere Visitenkarte, einen etwas umfangreicheren Steckbrief
von Peter Marggraf – Bildhauer, Zeichner, Drucker, Büchermacher. Der wird
übrigens in ein paar Wochen siebzig Jahre alt. Aber zum Geburtstag, das habe
ich so gelernt, darf man nicht vorzeitig gratulieren, keine Glückwünsche
also an dieser Stelle. Einen Wunsch nehme ich mir aber dennoch heraus –
ad multos annos! Auf viele
weitere Jahre einer freundschaftlichen Zusammenarbeit ...
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