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Hans Georg
Bulla
Bildhauer, Zeichner, Büchermacher – Peter Marggraf und die San Marco Handpresse Zum 25jährigen
Bestehen der Presse
Visitenkarten
vergibt er nicht, vor Jahren hat Peter Marggraf aber in einer Art Steckbrief
sich selbst und seine Arbeit beschrieben. Dieser Steckbrief ist so etwas wie
eine Aufgabenbeschreibung, eine Übersicht seiner Aktivitäten und
Tätigkeiten, was bei einem, dem jeder Tag ohne Beschäftigung in der
Werkstatt ein verlorener Tag ist, nicht verwundern dürfte.
Bildhauer und
Zeichner Peter Marggraf,
heißt es im Steckbrief, „ist ein Bildhauer. Er stellt lebensgroße Skulpturen
aus Ton her. Immer steht im Mittelpunkt seiner Arbeit der Mensch.“ Es sind
diese Plastiken aus holländischem Mangan-Ton, die nach dem Brand grau
schimmern, als wären sie aus Eisenguß, mit denen er bekannt geworden ist.
Plastiken, die einzelne menschliche Figuren in ihrer Verletzbarkeit und
Verletztheit zeigen, erkennbar zusammengesetzt aus einzelnen Platten,
Stücken, Scherben – wie aus einer archäologischen Grabung geborgen und
mühevoll wieder zusammengesetzt, um noch einmal diesen einen Menschen zu
zeigen. Diese Figuren, hockend, kauernd, unter den eigenen Armen Schutz
suchend, wirken in ihrer verstörenden Körperlichkeit zugleich so archaisch
wie heutig – ein jeder Blick in die Fernsehnachrichten liefert den quälenden
Beweis. Was tut der Mensch dem Menschen an, was muß ein einzelner ertragen,
was kann er aushalten, wie sucht er einen Rest von Würde im verbliebenen
Leben zu retten – das fragt jede dieser Figuren mit stummer
Nachdrücklichkeit den, der ihnen entgegentreten mag. Und es ist diese
existentielle Ernsthaftigkeit, die Peter Marggrafs Kunst ausmacht und seine
Zeitgenossenschaft beglaubigt.
Die zeigt sich in gleicher Weise auch in
den zahlreichen Bronzeplastiken, die Peter Marggraf in den letzten Jahren
zunächst in Wachs modelliert hat, bevor sie gegossen wurden. Und diese
Bronzen, oft sind es Torsi oder Büsten, haben keine exquisite Patina, keine
auf Glanz und Glänzen hin polierte Oberfläche, stattdessen trägt jede die
Spuren der Hände, aus denen sie hervorgegangen ist. Da sind Erhebungen
stehen geblieben und von den Fingern eingedrückte Tiefen, Grate und
Schrunden. Als sei der Prozeß ihrer Entstehung angehalten, als seien sie
noch auf dem Weg zu sich selbst – non
finito, so heißen diese vermeintlich unfertigen, in einer langen
Tradition stehenden Kunstwerke. Denn die Vollendung, ein Vollständig-sein
verweigert ihnen der Künstler, er zeigt Wunden, Behinderungen,
Deformationen, er zeigt ein Beschädigt-sein.
Diese
Darstellungen aber als destruktive, entwürdigende zu verstehen, wäre ein
Missverständnis. Peter Marggraf zerstört nicht mit Vorsatz, er findet um
sich herum Erschütterung und Zerstörung vor und sieht, wider alle
Augenscheinlichkeit, auch die Würde. Man blicke nur in die Gesichter
seiner Figuren, auf deren geschlossene
Augen – dem Sog der Stille und melancholischen Ergebenheit kann man sich
nicht entziehen. Und er möchte, vielleicht wider besseres Wissen, seinen
Glauben an das Anders-Mögliche nicht verloren geben.
Zurück zum Steckbrief: Peter Marggraf,
heißt es da weiter, „zeichnet und radiert. Er sucht mit einem dicken
Graphitstift auf weißem Papier, mit dem Messer im Holz oder mit der
Radiernadel im Metall die Konturen seiner Menschen“. Und das, was so
entsteht, entweder als Einzelblätter oder als Grafik in kleiner Auflage auf
der eigenen Presse gedruckt (ja, er ist eben auch ein Drucker), sind keine
glatten, dekorativen, die Augen mit farbigen Effekten schmeicheln oder sie
veristisch täuschen wollenden Darstellungen. Er lässt auf der Fläche des
Papiers oft nur die Umrisse gelten, Gliedmaßen und Körper sind angedeutet,
die Gesichter bleiben schemenhaft, eine reduzierte Figürlichkeit. Da wird
kein filigranes Virtuosentum zelebriert, das ist vielmehr die gestische
Bewegung des Arms, der expressiv zeichnenden Hand. Und es sind doch
unverkennbar seine Menschen, die da auf dem Papier stehen –
non finito,
noch
nicht vollendet, noch nicht vervollständigt, noch nicht angekommen auch sie.
Der
Büchermacher Und schließlich
heißt es im Steckbrief: „Peter Marggraf liest. Er findet in literarischen
Texten seine Menschen, und er stellt diese Texte seinen Arbeiten gegenüber.
Es sind Texte von Ingeborg Bachmann, Samuel Beckett, Franz Kafka, Georg
Büchner und Georg Trakl.“ Diese Namensliste ist, wie der Steckbrief, an die
zwanzig Jahre alt – seither sind einige Namen dazu gekommen, denn Peter
Marggraf ist ein eifriger Leser und ein ebenso fleißiger Büchermacher. Nelly
Sachs, Paul Celan, Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Jean Paul, August von
Platen, Brüder Grimm, Thomas Mann. Und dazwischen Hugo Dittberner, Clemens
Umbricht, Peter Piontek, Johann P. Tammen, Peter Gosse, Hermann Kinder,
Michael Hillen, Christine Kappe, Gerd Kolter und, ja, auch Hans Georg Bulla
neben einigen mehr. Wer einmal mit dem Finger durch die Liste der Namen und
Titel fährt, gerät in eine literarische Welt ganz eigener Art – Texte der
klassischen Moderne, kanonische Texte des 19. Jahrhunderts, Texte
zeitgenössischer Autoren und Autorinnen.
Ein außergewöhnliches, wenn nicht
verwunderlich und höchst persönlich wirkendes Programm: Seit 1996 bringt es
Peter Marggraf heraus
in seiner San Marco Handpresse, jedes Buch in bibliophiler Ausstattung,
allesamt reich mit Bildern versehen oder mit beigelegten Grafiken, von Hand
gebunden, in kleiner Auflage nur erscheinend. Warum San Marco Handpresse?
Weil es da diese andauernde Liebe zu Venedig gibt, die ihn zu regelmäßigen
Aufenthalten in der Serenissima anhält, ihn dort zeichnen und radieren läßt,
so daß er seine Blätter gar vor Ort in einer historischen Druckerei drucken
kann.
Seine Leidenschaft für das Büchermachen
aber trägt und prägt das Programm, nun schon seit 25 Jahren. Doch es geht
ihm nicht um das Machen allein, obgleich er nichts lieber hört, so ist zu
vermuten, als das Klackern der alten Linotype-Setzmaschine, Baujahr 1928,
und das sanfte Anheben der leeren, das glückliche Ablegen der bedruckten
Bögen in der Presse, ein Heidelberger Tiegel aus den 50er Jahren. Aber er
nimmt nicht einen beliebigen, gerade verfügbaren Text her und steckt ihn
frisch gedruckt zwischen zwei Buchdeckel; vielmehr hat er sich das, was
unter seinen Händen zu einem Buch werden soll, zuvor angeeignet, es sich zu
eigen gemacht. Er sucht und findet Texte, die ihm nahe kommen und ihn in
seinem eigenen Tun bestärken können, seiner künstlerischen Arbeit als
Bildhauer, Zeichner, Drucker. „Er findet sich wieder“, heißt es im
Steckbrief, „in den Figuren der gelesenen Literatur und sieht seine
Zeichnungen und Drucke.“
Nach der Gründung der San Marco Handpresse macht
sich Peter Marggraf zunächst an Texte aus seinen „Lebensbüchern“, so an
Gedichte von Ingeborg Bachmann. Die setzt er aus Holzlettern, um sie dann
abzureiben als Frottage-Blätter. Es entsteht, als Unikat, versteht sich,
eine großformatige, fast monumentale Mappe aus den „Liedern auf der Flucht“,
mittlerweile Teil der Sammlung der niedersächsischen Landesbibliothek in
Hannover. Es folgt eine ähnliche Mappe mit einem handgesetzten Text aus dem
Nachlaß Samuel Becketts. Und in beiden Fällen gelingt es Peter Marggraf, die
Rechte für seine Pressen-Veröffentlichung zu erhalten – wie später auch für
Thomas Manns „Tod in Venedig“ oder jüngst
für Gedichte Paul Celans oder Allen Ginsbergs „Howl“. Thomas Manns Novelle
mit den eingebundenen Holzschnitten aus Venedig stellt sicherlich einen
Höhepunkt im Programm der San Marco Handpresse dar, ebenso wie der neu
aufgelegte und mit Radierungen versehene Gedichtband „Mein blaues Klavier“
von Else Lasker-Schüler.
Mit dem Einzug der Linotype in seine
Werkstatt und dem glücklichen Erwerb eines beträchtlichen Matrizenvorrats
ändern sich nicht nur die Bedingungen für den Satz der Bücher, sondern
gleich auch die Anzahl der Titel, wenngleich die Auflagenhöhe selbst eher
klein bleibt. Neben den klassischen, neu veröffentlichten Texten kommen
jetzt Erstveröffentlichungen gegenwärtiger Autoren und Autorinnen hinzu,
zumeist Gedichte, aber auch Erzählungen und kurze Prosa. Dabei ist eine
Anthologie besonders hervorzuheben: „Seit ein Gespräch wir sind“ ist sie
betitelt und präsentiert Gedichte von acht Autoren, die sie selbst bei ihren
regelmäßigen Treffen im gegenseitigen Austausch aus den jeweiligen Skripten
ausgewählt haben, so daß eine kollegial lektorierte, umfangreiche Sammlung
entstanden ist, von Peter Marggraf mit Originalradierungen ausgestattet.
Obgleich er sich zwischen Schriftenregalen,
Papierschränken und Pressen am wohlsten fühlen dürfte, steht Peter Marggraf
den digitalen Möglichkeiten des Veröffentlichens nicht ablehnend gegenüber.
Vor gut zwölf Jahren hat er am Bildschirm eine neue Reihe konzipiert:
i libri bianchi – digital
gesetzte und gedruckte Bücher mit Reproduktionen ausgewählter oder eigens
geschaffener grafischer Arbeiten. Sie sind fadengeheftet, von eigener Hand
gebunden, mit einem Schutzumschlag versehen und erscheinen jeweils in einer
numerierten Auflage von 100 Exemplaren. Mittlerweile liegen 42 Titel vor,
die so etwas wie eine Handbibliothek des Büchermachers ergeben und mit den
Bildteilen einen Katalog seiner verschiedenen Schaffensphasen als Zeichner,
Radierer und Aquarellist darstellen. Denn seine Arbeiten stehen
gleichberechtigt neben den Texten seiner Hausautoren, Rilke, Trakl, Heine,
Büchner, Kafka, Celan, Jean Paul, und den Erstveröffentlichungen der
gegenwärtigen Autorinnen und Autoren. Vierzehn von ihnen haben für den
dreißigsten Band der Reihe neue Gedichte zum Thema Schreiben und
Büchermachen eingereicht, so daß 2019 eine einmalige Anthologie über Wörter,
Bilder und Bücher mit dem Titel „So weiß das Papier“ erscheinen konnte.
Kassetten als
Wunderkammern
In den letzten
Jahren ist eine weitere, mit Engagement betriebene Beschäftigung
hinzugekommen – Peter Marggraf hat zahlreiche Mappen, Kassetten und Boxen
angefertigt, Behältnisse für die Aufbewahrung seiner Kunst und seiner
Bücher, Behältnisse, für die sich so recht keine eigne Bezeichnung finden
lässt. Eins ist diesen Unikat-Objekten gemeinsam – sie gehen aus von einem
Buch, das er als Büchermacher gesetzt, gedruckt, gebunden und dem er
Zeichnungen, Monotypien oder Grafiken beigegeben hat. Sie beinhalten also
„Bilder und Wörter“ und präsentieren sie in einer neuen Zusammenführung: Da
ist das fertige Buch,
das jedoch in seiner Entstehung vorgestellt wird, mit den verschiedenen
Fassungen des Skripts des Autors, mit den Druckproben und Korrekturen des
Büchermachers; und da sind die originalen Zeichnungen oder Grafiken, die im
Buch wiedergegeben sind. Das alles hätte Platz in einer schlichten Mappe und
würde die traditionellen Erwartungen an eine Werkstattdokumentation („Wie
dieses Buch entstanden ist“) nicht übersteigen. Aber Peter Marggraf geht
regelmäßig über ein so schlichtes Konzept hinaus, die Boxen und Kassetten
enthalten mehr an Beigaben, sind handwerklich großzügig gefertigt und
übertreffen die allein mit dem Buch verknüpfte Vorstellung – es sind kleine
Wunderkammern voller Überraschungen,
Kunstobjekte
ganz eigner Art. So sind dort etwa
Glasreliefs zu den Bodensee-Gedichten von Gerd Kolter zu finden oder die
Originale der im Buch wiedergegebenen Zeichnungen oder auch eine kleine,
eigens gegossene Bronzebüste.
Fast alle diese Kassetten sind eingegangen
in die Sammlung Hartmann, deren einer Teil in der Vorarlberger
Landesbibliothek in Bregenz verwahrt wird, die neueren Objekte sind im
Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig zu sehen. Mit dem Anstiften
einer Zusammenarbeit zwischen einer Vielzahl von Künstlern und Autoren und
dem Zusammenführen der jeweiligen Arbeiten in eigens dafür in Auftrag
gegebenen, individuellen Kassetten hat das Sammlerehepaar Hartmann im
übrigen ein eigenständiges Sammelgebiet etabliert, wie nicht zuletzt das
große Vorarlberger Katalogbuch („Kassetten“, herausgegeben von Jürgen
Thaler, 2017) eindrücklich aufzuzeigen weiß.
Berichte aus
der Werkstatt Bildhauer,
Zeichner, Büchermacher – über alle seine Aktivitäten, seine fertigen
Arbeiten und anstehenden Projekte gibt Peter Marggraf einmal jährlich
Bericht in einer eigenen, großformatigen Werkstatt-Zeitung, die außerhalb
gedruckt wird, in hoher Auflage erscheint und an Interessenten kostenlos
verschickt wird. Neben Besprechungen der neuen Bücher und eventueller
Ausstellungen sind dort jeweils ausgewählte Hintergrund-Artikel zu den
Autorinnen und Autoren, Texte zu kunst- und kulturgeschichtlichen Themen zu
finden – und neue literarische Texte, die dann ab und an in einem der Bücher
wiederzulesen sind.
Gibt es eine Verbindung zwischen all diesen
Aktivitäten, gibt es ein Antriebszentrum, das Peter Marggraf zu diesen
durchaus zeit- und kraft- und gedankenaufwendigen Betätigungen immer wieder
nötigt? Nach dreißig Jahren Bekanntschaft und fast ebenso langer
freundschaftlicher Zusammenarbeit traue ich mir eine charakterisierende
Formel zu: Peter Marggraf ist ein Handarbeiter in allen seinen Disziplinen,
als Bildhauer, Zeichner, Büchermacher. Handarbeiter im
alleranspruchsvollsten Sinn, ein Hand-
und Kopfarbeiter also. Er will
durch die Arbeit der Hände die Dinge, das Material, den Stoff des Lebens
wahrnehmen und be-greifen. Er will mit Ton und Wachs, mit Farbe, Pinsel und
Papier, mit Zeilen aus Blei in der Presse seine eignen Erfahrungen machen
können, er will aus dem, was er in Händen hält, etwas schaffen, etwas
erschaffen, etwas Dingliches, für sich allein Einstehendes, das aber
Mitteilung macht von den Prozessen seiner Entstehung. Das bliebe aber trotz
aller Leidenschaft eine hohle Anstrengung, wäre da nicht jene existentielle
Ernsthaftigkeit,
mit der er alle diese Künste betreibt –
seit Jahren und Jahrzehnten.
Hans Georg
Bulla, Autor, Lektor, Herausgeber. Lebt in Wedemark.
Zahlreiche
Veröffentlichungen und Auszeichnungen.
Sie können über die E-mail Adresse oder per Post Bücher bei der San Marco Handpresse bestellen und bekommen dann eine Rechnung zugeschickt. Nach Eingang des Rechnungsbetrages erhalten Sie umgehend in stabiler Verpackung die gewünschten Bücher oder Mappen versichert zugesandt. Möchten Sie weitere Informationen, oder möchten Sie uns etwas mitteilen, benutzen Sie unsere Kontaktmöglichkeiten ►
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