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Selma Meerbaum-Eisinger mit ihrer Freundin Else Schächter, Mai 1940
(Foto: unbekannt) |
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Selma Meerbaum-Eisinger
Hildegard Schiebe
Erst lange nach ihrem frühen Tode wurde die junge Dichterin Selma
Meerbaum-Eisinger bekannt und so gewürdigt, daß ihr erhaltenes dichterisches
Werk in deutscher Sprache neben den Gedichten Paul Celans und von Rose
Ausländer zum literarischen Erbe der Bukowina und sogar zur Weltliteratur
gezählt wird. Selma wurde am 5. Februar 1924 in Czernowitz in der
jüdischen Familie von Max Meerbaum und seiner Frau Friederike, geb.
Schragen, geboren. Der Vater war Schuhhändler und starb, als Selma erst neun
Monate alt war. Ihre Mutter, die mit der Mutter von Paul Celan verwandt war,
heiratete drei Jahre später Leo Eisinger. Daher wird die Dichterin in
verschiedenen Werken über sie teils als Merbaum, Meerbaum oder
Meerbaum-Eisinger genannt. Selma besuchte bis 1940 das ehemalige jüdische
Mädchenlyzeum, das ein staatlich anerkanntes Gymnasium geworden war. Selma
las sehr früh Werke von Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Klabund, Paul
Verlaine und Rabindranath Tagore. Ihre eigenen Gedichte, die sie ab 1939
schrieb, waren von diesen Vorbildern geprägt. Sie übersetzte auch aus dem
Französischen, Rumänischen und Jiddischen. Ihre Gedichte galten vor allem
ihrem Freund Lejser Fichmann, den sie in einem zionistischen Arbeitskreis
kennenlernte und mit dem sie in inniger Liebe verbunden war, wie ihre
Gedichte es bezeugen. 1941 besetzten deutsche Truppen nach Hitlers
Überfall auf die Sowjetunion auch Czernowitz, das durch den
Molotow-Ribbentropp-Pakt 1939 von den Rumänen 1940 an die Sowjetunion
abgetreten worden war. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Juden gezwungen, in
einem Ghetto der Stadt zu leben und die ganzen Benachteiligungen und
Ausgrenzungen zu erleben. Die Familie von Selma Meerbaum wurde 1942 in ein
Übergangslager in Transnistrien gebracht und von dort weiter in das
Arbeitslager Michailowka, in ein von Deutschen besetztes Gebiet der
Ukrainischen Sowjetrepublik, deportiert. Die Häftlinge mußten dort Steine
für den Straßenbau bearbeiten. Völlig entkräftet erkrankte Selma an
Flecktyphus und starb am 16. Dezember 1942. Unter den Häftlingen im Lager
war auch der Maler Arnold Daghani, der mit seinen Zeichnungen das grausame
Lagerleben dokumentierte, auch die tote Selma Meerbaum, wie sie von ihrem
Bett in eine Decke eingewickelt herabgelassen wird. Das Bild ist heute in
der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu sehen. „Ungespielte Töne“: So
könnte man das kurze Leben Selma Meerbaums nennen. Sie war mehr als eine der
unsäglich vielen Todeszahlen auf der Liste der Verbrechen der
Naziherrschaft. Mit Selma und vielen anderen Dichtern sind unzählige
kostbare Kulturgüter verloren gegangen, die nicht leben durften, nicht mehr
zu hören waren, ungespielt blieben. Trotz ihres jungen Alters hatte sie uns
mit dem, was sie hinterlassen konnte, reich beschenkt. Aber es dauerte mehr
als ein Vierteljahrhundert, also länger als ihre kurze Lebenszeit, bis ihr
Werk überhaupt bekannt wurde. Es war wie ein zweiter Tod, ein Tod des
Verschweigens. Die Geschichte des Aufdeckens und Entdeckens dieses Schatzes
ist spannend wie ein Kriminalroman. Czernowitz und die Bukowina waren
außergewöhnlich reich an jüdischen Schriftstellern und Intellektuellen.
Namen wie Paul Celan und Rose Ausländer, Klara Blum und Alfred Gong sind nur
einige davon. Diese so reiche, lebendige und fruchtbare jüdische Kultur der
multikulturellen Metropole Czernowitz, in der auch Deutsch gesprochen wurde,
die bis 1918 eine deutsche Universität hatte und deren Bewohner zu mehr als
einem Drittel jüdisch waren, wurde von den Nazis ausgelöscht. So wie Selma
Meerbaum-Eisinger. Als Selma deportiert wurde, hatte sie zuvor ihre 58
Gedichte in einem Band zusammengefügt und ihm den Titel „Blütenlese“
gegeben. Diese Gedichte waren für ihren Freund Lejser Fichmann bestimmt. Er
war schon vor ihr in ein Arbeitslager deportiert worden. So bat Selma eine
Freundin, diese gesammelten Gedichte ihrem Freund zu übergeben. Das Büchlein
gelangte in Fichmanns Hände und dieser wiederum gab es der Freundin zurück,
weil er sich auf die Flucht nach Palästina begab. Er kam dort nie an. Sein
Schiff sank. Zwei von Selmas Freundinnen nahmen das Büchlein in ihren
Rucksäcken mit auf ihrer Odyssee nach Israel, wo sie 1948 ankamen. Die
deutsche Sprache war damals in Israel nicht erwünscht, ja tabuisiert. So
hatten Meerbaums Gedichte keine Chance, bekannt zu werden. Aus Bukarest aber
fand ein Gedicht den Weg nach Ostberlin, das dann Eingang in die Anthologie
„Welch Wort in die Kälte gerufen“, die von H. Seydel herausgegeben wurde. In
dieser Sammlung setzte Paul Celan mit der Zustimmung des Abdrucks seiner
Todesfuge Selma ein Denkmal. In Israel lebte auch Selmas ehemaliger
Klassenlehrer, Hersch Segal, der das Gedicht las, die Freundinnen suchte und
1976 auf eigene Kosten im Privatverlag 400 Exemplare der Gedichte, die die
Freundinnen mitgebracht hatten, veröffentlichte. Ein Exemplar gelangte durch
Bianca Rosenthal, einer Germanistik-Professorin und Celan-Spezialistin und
ebenfalls verwandt mit Celan und Meerbaum, in die Hände von Hilde Domin. Die
Lyrikerin war sehr beeindruckt: „Gedichte zum Weinen schön“. Sie wollte, daß
diese Gedichte bekannt würden. Sie nahm schließlich Kontakt auf mit Jürgen
Serke, dem sie die Gedichte sehr empfahl. Dieser war so fasziniert, daß er
in Israel recherchierte und im Stern im Mai 1980 die Geschichte einer
Entdeckung veröffentlichte. Die Resonanz war sehr groß. Serke gab das
Buch 1980 unter dem Titel „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ heraus. Das Buch
erschien 2005 in einer 2. Auflage und als Taschenbuch. Ebenso erschien es
2005 als Hörbuch, gesprochen von Iris Berben. Jürgen Serkes Arbeiten, zum
Beispiel über die „Verbrannten Dichter“, waren ein Aufruf ,„die Werke der zu
Unrecht Vergessenen endlich wieder zu veröffentlichen“. Es war ein Aufbruch
mit großer Zustimmung und mit Erfolg. Die „Verbrannten Dichter“ und
Meerbaums Gedichte waren viele Jahre auf Literaturveranstaltungen gefragt.
Meerbaums Gedichte wurden sogar von verschiedenen Interpreten vertont. Als
erste sang Ana Fonell ein von Johannes Conen musikalisch interpretiertes
Gedicht. David Klein vertonte zusammen mit bekannten Liedermachern und
Sängern, wie z.B. Reinhard Mey, Xavier Naidoo und Ute Lemper Gedichte von
Selma Meerbaum. Auch in der DDR wurden einige Gedichte in der Reihe
Poesiealbum gedruckt. In Japan erschien 1986 ein Gedichtband, ebenso in Kiew
in russischer Übersetzung, in Holland auf Niederländisch. Es wurden auch
Theaterstücke über Selma Meerbaum geschrieben und aufgeführt. Bei vielen
Lesungen, die die Verfolgung zum Thema haben, gehören ihre Gedichte dazu.
2013 erschien bei Reclam in Stuttgart „Die Blütenlese“, herausgegeben von
Markus Mayer, 2014 veröffentlichte Marion Tauschwitz eine Biographie über
sie: „Selma Merbaum – Ich habe nicht zuende schreiben können“, die auch alle
Gedichte enthält. Außerdem erschien: „Selma Meerbaum-Eisinger. Du weißt, wie
ein Rabe schreit“ mit einem biografischen Essay und mit allen Gedichten und
Dokumenten, herausgegeben von Helmut Braun, Aachen 2013. Heute ist die
tote Selma Meerbaum in ihren Gedichten lebendig. Die Einnahmen aus ihren
Rechten und die Tantiemen fließen in einen Fonds, der bedürftige jüdische
Studenten unterstützt. Seit 2011 wird der Selma
Meerbaum-Eisinger-Literaturpreis vergeben, der vom Bundesverband junger
Autoren und Autorinnen, von der Armin T. Wegner-Gesellschaft und der Kölner
Autorengruppe Faust ausgeschrieben wird und den der Anne Frank-Fonds
unterstützt. In Berlin heißt das Familienzentrum der evangelischen
Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde nach der Dichterin „Meerbaum-Haus“. So
lebt Selma weiter:
Ich möchte leben. Ich möchte lachen und Lasten
heben Und möchte kämpfen und lieben und hassen und möchte den Himmel
mit Händen fassen, und möchte frei sein und atmen und schrei’n. Ich
will nicht sterben. Nein: Nein.
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Meerbaum-Eisinger. Wie eine Linie dunkelblauen Schweigens
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