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Der Fingerknochen – nevermore
Eine Betrachtung zu
Edgar Allen Poe
Der Rabe
Zweisprachig in der Übertragung
Von Christa Schuenke
Zeichnungen von Peter Marggraf
Von
Brigitte Struzyk
Berlin, im Juli 2018
Bei der
kleinen Danksagungsliste der Übersetzerin, die sie der Übertragung
voranstellt, lauten die letzten Zeilen: „Vor allem aber Hans Walter
Sundermann (gest. 1982) für den Fingerknochen.“
Das ist
die Gabe beider, der Übersetzerin Christa Schuenke und des Zeichners
Peter Marggraf, den Fingerknochen ins Spiel zu bringen an einer der
entscheidenden ersten Stellen des Gedichtes.
Zunächst ist das nicht allein eine kollegiale Geste, auf den Spender
hinzuweisen, es ist Arbeitsgrundlage für die Übersetzerin, sich
umzuschauen, was schon da ist, nicht um den Vergleich zu wagen oder
um sich Anregungen zu holen, sondern alles Material, das sich
eignet, eine gültige Variante zu schaffen, zu sichten, und wenn es
diesen „Wink mit dem Fingerknochen“ gibt, zuzugreifen.
Mit den
Fingern zu greifen: ein Mensch, der sich in tiefer Trauer eine Nacht
um die Ohren schlägt, mit Rabenflügeln, diese Chimären schafft sich
der Denkende. Er erwartet einen Menschen, der mit seinem
Fingerknochen sich Einlass zu verschaffen wünscht – und es kommt ein
Rabe Nevermore.
In
einem anderen Band, des „Raben“ der mit Christa Schuenkes
Übertragung erschienen ist, gibt sie Poes „Die Theorie der
Konstruktion“ hinzu, die es in sich hat – vielleicht noch ein Band
für die Reihe. Poe schreibt da. „Es liegt auf der Hand, dass jede
Fabel, die diese Bezeichnung verdient, bis zu ihrer endgültigen
Auflösung ausgearbeitet sein muss, ehe man zur Feder greifen kann.“
Die
Fabel? Zum Spaß (den die Übersetzerin wohl auch hatte an der Arbeit)
eine Berliner Kurzfassung: „Ick sitze da / und esse Klops / mit
eenmal klops / Ick stehe auf / und kieke / und wer steht draußen /
icke.“
Der Poe
Text ist konstruiert, mit allen Wassern gewaschen, dass man, hat man
diese theoretische Speise nicht zu sich genommen, ihn für einen
soeben empfangenen Kuss der Muse halten muss. Nevermore.
Christa
Schuenke kennt diese Theorie der Konstruktion, sie geht absolut an
den Text heran, Wort für Wort und ganz genau, was die großartige
Typographie einem vor Augen führt, zweisprachig. Eine Zeile das
Original, die nächste dann die deutsche Übersetzung. Sie ist
ebenbürtig, Rhythmus und Vers sind so gefunden, dass der Text
fließt, als sei er deutsch geschrieben.
Die
Übersetzerin, deren zahlreiche Arbeiten mit Preisen bedacht worden
sind, geht vom Kern aus, so dass die Frucht wachsen kann, und stößt
so auf den Kern der Dichtung, die wohl ihresgleichen sucht, weil sie
einmalig ist, so einmalig wie der „Erlkönig“.
Die
deutsche Dichtung kennt die in Weimar geborene Christa Schuenke
natürlich, die Dichtung sowieso, hat sie doch selbst Gedichte
geschrieben, die sie aber immer hinter ihrer Übersetzerarbeit liegen
ließ.
Die
erste Publikation ihrer Arbeit war John Donne im Reclam Verlag, 1982
(2. korrigierte und erweiterte Auflage 1985) in Leipzig, wo sie
wenige Jahre zuvor Englisch und Französisch und später in Berlin
auch noch Philosophie studiert hatte. Genauigkeit, Zeitkenntnis und
die Gabe, das Unausgesprochene auch so zu lassen, ohne es
wegzudichten, zeichnet schon diese mit Maik Hamburger entstandene
Publikation aus – damals wagte sich die Lektorin, einige Stellen zu
verschlimmbessern, heute ist das undenkbar.
Shakespeare, dessen Gesellschaft sie oft in Weimar beehrte, ist
einer ihrer Favoriten. Sie übersetzte seine Sonette erst einmal für
sich, weil sie es wollte und niemanden fragen wollte, ob er es
vielleicht auch publizieren will. 1994 aber erschienen sie doch.
Damals waren auch zahlreiche andere Neuübersetzungen auf dem Markt.
Diese
Übersetzung aber wählte Robert Wilson für seine Inszenierung am
Berliner Ensemble aus, Premiere 2009. Große Mimen wie Inge Keller
und Jürgen Holtz verliehen der Übersetzung eine solche Griffigkeit,
dass man vermeinen konnte, diese Sonette seien deutsch geschrieben
worden. Gestisch, sinnlich konkret, so auch die vorliegende
Übersetzung des „Raben“.
Noch
eine Bemerkung zur Typographie. Über zwei Seiten im Zeilenwechsel
englisch deutsch, Sie ist so dargeboten, wie ich es noch nicht fand,
und hebt gerade diese Wortstimmigkeit hervor. Über den Bruch geht
die Zeile, und merkwürdig, der Bruch wirkt auf mich wieder wie ein
Kern.
Und nun
zu des Pudels Kern dieser Publikation. Peter Marggraf, der Zeichner,
dem auch immer zwei freie Seiten zur Verfügung standen, fügt einen
Menschen hinzu, eben jenen, der sich in tiefer Trauer eine Nacht um
die Ohren schlägt. Nicht ein Rabenflügel, keine griechische Büste
oder alte Folianten. Das gibt diesem Buch eine Freiheit, eben die
des Fingerknochens. Menschlichkeit.
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