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  Fundstücke aus der Schublade

Prosa von Hans Georg Bulla und Zeichnungen von Peter Marggraf



Dietrich Hoheisel


Ein schönes Buch, dieser neue Band aus der Reihe I libri bianchi: Auf dem weißen Umschlag eine in Grün gehaltene Zeichnung, ein männlicher Kopf ins Halbprofil gedreht, vor einem dunklen Fond, die Schultern angedeutet und hell gelassen. Der Titel „In bester Gesellschaft“ ist ebenfalls in Grün gesetzt, lichtgrün ist das Vorsatzpapier; das Frontispiz zeigt wieder eine Zeichnung, ein Brustbild in verschattetem Grün, ein markanter Schädel, die Körperumrisse sind mit kräftigen Strichen eingefaßt. Mag sein, daß hier einer der Protagonisten zu sehen ist, deren Gesellschaft das Buch verspricht.
Wer einmal einen Band der „weißen Reihe“ der San Marco Handpresse in Händen gehabt hat, weiß, daß es zu deren Konzept gehört, neben den Texten eine thematische Folge von Zeichnungen, Grafiken oder auch Fotos von Peter Marggraf zu präsentieren. Blättert man neugierig diesen Band auf, findet man eine Strecke von siebzehn weiteren Zeichnungen aus den Jahren 1993 bis 1995, die unzweifelhaft zusammengehören, denn sie zeigen in ähnlicher Manier jeweils eine einzelne, variantenreich ins Blatt gesetzte Figur. Es sind Kopf- und Brustbilder, die Peter Marggraf diesem Band mitgegeben hat, ursprünglich wohl mit schwarz-grauem Graphit-Stift aufs Papier gebracht, sind sie hier in grün-schattigen Tönen wiedergegeben. Sie entstammen alle dem großen Album seiner charakteristischen Figurenbilder: Einige Gesichter und Köpfe sind eher zart angedeutet, als handele es sich um erste Abzüge von einer Radierplatte, andere sind fest eingeschlossen von flächigen Graphit-Lagen, so daß ihre Körperlichkeit umso fragiler erscheint. Auf den Doppelseiten des Buchs scheinen sich diese unterschiedlich positionierten Figuren einander zuzuwenden, aber da ist auch ein Paar, dessen Blicke in die jeweils andere Richtung gehen. Insgesamt ein eindrückliches Ensemble – wie steht es aber mit der Gesellschaft der Texte?
Verstreut waren sie bereits Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien zu finden, die Prosastücke von Hans Georg Bulla, die jetzt zum ersten Mal gesammelt in diesem Band der I libri bianchi veröffentlicht werden.
Diese Sammlung, als „frühe Prosa“ im Untertitel deklariert, ist das Ergebnis einiger „Expeditionen in die Schublade“, wie es in dem dankenswerterweise beigelegten Lesezeichen heißt. Daß die 31 kurzen Prosastücke einer anderen Zeit entstammen, macht schon der erste Blick auf die Seiten deutlich: Alle Texte sind in radikaler Kleinschreibung abgefaßt, wie es seinerzeit wohl für die Textproduktion angesagt war, die von vornherein ihre Unkonventionalität und ihren experimentellen Charakter signalisieren wollte.
Es ist von daher vielleicht nicht verwunderlich, daß eine größere Auswahl dieser Prosastücke erstveröffentlicht wurde in der seinerzeit sehr renommierten Zeitschrift der Wiener Avantgarde, den „protokollen“, die damals von Otto Breicha herausgegeben wurde. Dort standen sie 1979 neben Texten von Friederike Mayröcker, Ernst Jandl oder Oskar Pastior unter dem gemeinsamen Titel „Rosenheimer, Wenzel, Moll und ich“, benannt nach dem in den einzelnen Stücken immer wieder auftretenden Personal.
Aber jede Avantgarde wird früher oder später eingeholt und wird zur Etappe. Ist es also nur ein nostalgischer Blick zurück, den dieses Buch offeriert? Ja und nein, müßte die Antwort heißen: Denn zum einen ergänzt dieses Buch die Veröffentlichungen von Hans Georg Bulla, der vor allem mit seinen Gedichtbänden bekannt geworden ist (der jüngste ist in der San Marco Handpresse erst im vergangenen Jahr unter dem Titel „Wie an jedem Tag“ erschienen) und dokumentiert eine dem Autor wohl immer noch wichtige Phase seines Schreibens; zum andern haben viele dieser Prosa-stücke immer noch ihren eigenen Reiz bei der Lektüre.
Gespielt wird mit den Erwartungen an erzählerische Texte und mit deren konventionellen Versatzstücken, und das auf kleinstem Raum. Da ist man in einer vermeintlichen Abenteuergeschichte in einer Zeile noch im dichtesten Regenwald und quält sich in der nächsten durstig durch die Wüste („Im Labyrinth“). Ebenso rabiat wird mit Lebensläufen („Herz, Schmerz und Wolga“) umgegangen oder mit der Form der Anekdote, bei der selbst eine plump verrutschte Pointe noch zum surrealen Spiel des Textes gehört („Kleines Seestück“). Und die Protagonisten dieser Geschichten, Rosenheimer und Co.? Sie sind lediglich Figuren auf dem Spielbrett, Platzhalter, selbst wenn ihnen eine Biographie angehängt wird („Ein schöner Erfolg“). Daß dieses Spiel aber vor einem schwarzen Hintergrund ausgetragen wird, das machen einige wiederkehrende Motive, Bild- und Assoziationsräume deutlich: Von Verletzungen ist da die Rede, von abgeschlagenen Köpfen, von blanken Messern und Bolzenschußgeräten, von Rasierklingen und Drähten im Schädel. Bei aller gewollten Verrätselung und Irreführung scheinen diese Texte doch einen inneren Zusammenhang zu haben.
Herauszulesen ist ebenso unschwer, in welcher literarischen Tradition sie anzusiedeln sind – sie reicht von dem damals gerade für Deutschland entdeckten Daniil Charms, dem russischen Avantgardisten der 1920er Jahre, bis hin zu Ror Wolf, dem großen Solitär der deutschen Literatur. Keine schlechte Gesellschaft.
Hans Georg Bulla hat diese Texte, so ist dem Lesezeichen-Blatt zu entnehmen, seinerzeit im Anschluß an eine erste Sammlung von Kurzprosastücken geschrieben, die damals, Mitte der siebziger Jahre, unter dem Titel „Rückwärts einparken – Friedliche Geschichten“ erschienen sind, mit einer Lese-Empfehlung eben jenes Ror Wolf. In den Feuilletons haben sie durchaus Beachtung gefunden, von der Neuen Zürcher bis hin zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bedauerlich, daß jenem Band nicht gleich einer mit dieser jetzt vorliegenden Prosa gefolgt ist – vielleicht hätte es Hans Georg Bulla dazu verleitet, sich den erzählerischen Texten noch mehr zu widmen und seine Bibliographie um den einen oder anderen Prosatitel zu erweitern. So bleibt es Peter Marggraf zu verdanken, daß die kleine „Bulla-Bibliothek“ in seiner San Marco Handpresse um einen trotz aller Nostalgie immer noch frisch zu lesenden Band reicher ist.







 

 

 

 

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