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I libri bianchi Band 8
Hans Georg Bulla
MÄRZWINTER
Ein Hörstück.
Erschienen im
Frühling 2013, gesetzt aus der
Helvetica. Im Buch sind 16 Grafiken von
Peter Marggraf
aus den
Jahren 1987 bis 2010 wiedergegeben. Preis: 25 Euro zuzügl.
Versand
"Märzwinter" Entstehung eines Buches
Eine Kassette für die Sammlung Hartmann
►
Sehnsucht, Schmerz und Schönheit
Hans Georg Bullas Hörstück „Märzwinter”
Von
Isabel Kobus
Es ist nicht ungewöhnlich, daß Autoren, die vor
allem mit Gedichten bekannt geworden sind, auch eine Vorliebe für das
akustische Medium entwickeln, für die Radiokunst. Ein Beispiel dafür ist
Günter Eich, dessen Hörspiele gleichrangig neben seinen Gedichten und
Prosastücken stehen. Auch Hans Georg Bulla ist als Lyriker ausgewiesen, hat
daneben aber auch Erzählungen, kurze Prosa und Essays veröffentlicht. Jetzt
erscheint von ihm in der San Marco Handpresse als Erstveröffentlichung ein
Hörstück in der Reihe „i libri bianchi“, bibliophil ausgestattet mit
sechzehn Zeichnungen von Peter Marggraf.
„Märzwinter“ ist eine psychologisch stimmige
Studie über das Werden und Vergehen von Sehnsucht und das Irrewerden daran,
über das Erstarren in den eigenen unerfüllten Wünschen und ungelebten
Fantasien. Es ist zugleich ein Stück über das Schreiben als Quelle und
Ausdrucksform der Sehnsucht – und über den Verlust der Worte.
Eine Frau erzählt ihrem Gegenüber – vermutlich
einem Therapeuten – von ihrer Begegnung mit einem Mann in einem Café. Eine
unvollkommene Begegnung, denn: „Der winzige Anfang hat gefehlt, der eine
Satz, das überraschte Heben des Kopfes, die leichte Berührung des Arms.“ Es
bleibt bei Blicken, langen Blicken, hungrigen Blicken. Immer wieder kommt es
zu Wiederholungen dieser Blicke, am gleichen Ort – ein Spiel, und doch viel
mehr als das für die Frau, denn „es war sein Blick, ohne den ich nicht
auskommen konnte, nicht auskommen wollte.“ Die Frau macht den Unbekannten
zum Protagonisten der Geschichte, die sie schreibt. Einer Geschichte, die
verortet ist in der Melancholie eines nicht enden wollenden Winters: „Die
Wolken hingen tief, kein Tag klarte auf, nur der Schnee lag weiß vor Augen.“
Ein Karnevalsumzug findet statt, bringt farbige Flecken in die Einöde, dann
ein mysteriöser Autounfall. Der Protagonist jedoch bleibt Beobachter, bleibt
passiv wie der Mann im Café.
Mit dem Beginn der dritten Szene tritt eine
Veränderung ein. In die Sehnsucht der Frau fließt Müdigkeit,
Hoffnungslosigkeit. Auch wenn da noch ein Leuchten ist: „Das Leuchten, es
kommt daher, weil es nicht mehr weit ist bis zur Verzweiflung.“ Sie versucht
Kontakt aufzunehmen, sich interessant zu machen für den Mann, doch ihre
Versuche verpuffen im Nichts. Haben seine Blicke nur ein Spiel mit ihr
gespielt? Ist er gar nicht mehr da? Auch die Geschichte, an der sie
schreibt, verschwindet – da sind „keine Sätze mehr, nur Wörter, die ich
selbst nicht mehr in eine Reihenfolge bringen konnte.“ Die Grenzen zwischen
Fiktion und Realität, zwischen Sehnsucht und Leben verschwimmen: „Ich werde
angesehen und keiner ist da, der mich ansieht.“ Das Sehen selbst wird der
Frau unerträglich: „Mir sind die Augen müde, soll ich schreien?“ Das
unerfüllte Verlangen wandelt sich in quälende Langeweile, in Gift. Die Frau
wird sprachlos, erstarrt in Gefangenschaft, es bleibt nur der eine Wunsch:
„Ich will liegen bleiben wie der Schnee auf den Dächern.“
Der Lyriker Hans Georg Bulla – er veröffentlichte
Gedichte unter anderem bei Suhrkamp und zuletzt den umfangreichen
Auswahlband „Wechselgetriebe“ im Aisthesis-Verlag – hat in den vergangenen
Jahren in der San Marco Handpresse bereits die Ergebnisse seiner Exkursionen
in andere literarische Formen veröffentlicht: die Notatesammlung „Ins
schwarze Heft. November-Notizen“ (2009) sowie drei ältere Kurzgeschichten
(„Zurückwinken“, 2012). Allerdings hat er bereits vor gut zwanzig Jahren ein
Hörspiel vorgelegt, das seinerzeit vom NDR produziert wurde. Auch in dem nun
vorliegenden neuen Hörstück zeigt sich, daß das lyrische Können Bullas auch
in anderen literarischen Formen zur Geltung kommt. Mit präzise eingesetzten
Wiederholungen und Rhythmisierungen verleiht Bulla der überwiegend
mo-nologischen Sprache des Stücks einen eigenen Ton, der natürlich und
poetisch zugleich wirkt. Er erinnert an die „Memory Plays“ des britischen
Nobelpreisträgers Harold Pinter, in denen – ähnlich wie in „Märzwinter“ –
die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen, die Flüchtigkeit von Gefühlen und
damit letztlich die Instabilität des Ichs nicht nur inhaltlich, sondern auch
sprachlich umgesetzt sind.
Komplettiert wird, im buchstäblichen wie
übertragenen Sinn, das biblio-phile Buch durch Zeichnungen und Radierungen
des Büchermachers und Künstlers Peter Marggraf, von denen fünf vor und
zwischen den Szenen stehen und elf weitere in einem Anhang zusammengestellt
sind. Sie zeigen, unter dem Titel „Keine Worte“, menschliche Körper, meist
vereinzelt, manchmal fragmentiert, einmal begleitet vom Tod. Aus der Haltung
der Figuren spricht Sehnsucht, manchmal Verzweiflung bis hin zum Wahnsinn.
Manche von ihnen wirken wie Gefangene. Die Präzision und Dichte der
monochromen Gestaltung harmoniert mit dem Duktus von Bullas Sprache ebenso
wie die melancholische Stimmung mit der des „Märzwinters“. So ist ein Buch
entstanden voller Schmerz und Schönheit, ein Lichtblick für lange Winter.
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