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 ...wenn er von mir erzählt Peter Piontek 
	„Der, in den er sich heute verkleidet, / fährt 
	den ganzen Tag mit der Straßenbahn. / Er schreibt mit der Hand eines 
	Freundes / und schaut sich argwöhnisch über die Schulter“ – die Rede ist von 
	Fernando Pessoa, dem Verwandlungskünstler, dem heteronymen Meister aus 
	Lissabon. Clemens Umbricht porträtiert in seinem neuen Gedichtband „Die 
	Augen über dem Bildrand“ nicht nur ihn, sondern ebenso Diogenes, Alfred 
	Brendel am Klavier oder einen Nachbarn. Auf unsicherem Boden 
	Clemens Umbrichts Gedichte nehmen gerne eine 
	Wendung ins Philosophische, die sich in aphoristischen Kürzeln oder 
	paradoxen Wendungen manifestiert. Beispiele finden sich in jedem Gedicht. 
	„Das Sein bestimmt das Seiende, / oder war es das Gegenteil?“ heißt es etwa 
	in „Der Denker“. Verse wie diese sind tückisch. Sie bringen ein Moment der 
	Verunsicherung in die Texte, machen den Boden, auf dem sich der Leser 
	bewegt, schlüpfrig. Wer ihnen nachzusteigen versucht, wird nicht so bald 
	wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Schnörkellose Setzungen 
	Umbricht schreibt Gedichte in der Er-Form, wobei 
	dieses „Er“ dann Subjekt und Objekt des Gedichtes in einem ist, sozusagen 
	lyrisches Er anstelle von lyrischem Ich. So äußert sich ein Autor, der sich 
	nicht lyrisch verströmt, sondern Selbsterkenntnis eher in der 
	Auseinandersetzung mit dem Anderen sucht. Oder in seinen eigenen Worten: 
	„Erst wenn er von mir erzählt, erzähle ich – ein bißchen – von mir.“ Das Unsagbare zeigt sich Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Autor, dessen literarische Referenzen in Übersee zu suchen sind – er hat amerikanische Gedichte übersetzt – im Verlag Eric van der Wal den Band „Alonsos Lächeln“. Unter dem Namen Alonso stellt uns der Autor einen Magier vor, dem weiße Kaninchen ebenso egal sind wie schwarze Hüte oder Kisten. Hinter der Maske dieses ungewöhnlichen Zauberers blinzelt der Autor selbst hervor, was spätestens deutlich wird, wenn es heißt: „Natürlich läßt sich das, was er sagt / nicht sagen, jedenfalls nicht so“. Da klingt Wittgensteins Auffassung von den Grenzen des Sagbaren an. Da haben wir, folgt man Raoul Schrott, aber auch ein Kriterium für die Qualität von Gedichten, weil nur „schlechte Gedichte immer das sagen, was sie meinen“, wie Schrott im soeben erschienen „Jahrbuch der Lyrik 2006“ schreibt. Auch „Alonsos Lächeln“ eröffnet Umbricht also mit einem poetologischen Gedicht. Wie „Die Augen über dem Bildrand“ überhaupt nahtlos an den vorangegangenen Band anschließt. Wer sich Umbrichts 15 Jahre zurückliegende Sammlung „Aus ruhiger Entfernung“ danebenlegt (1988, ebenfalls bei Eric van der Wal erschienen), mag ermessen, welchen Weg er zurückgelegt hat, wie sich die Gedichte von ihren Anlässen gelöst haben und nunmehr ganz für sich selbst stehen. Clemens Umbricht hat seinen eigenen Ton gefunden. Der Dichter läßt sich mit „Benjamins Engel“ ein und berichtet aus dem „Innern des Gedichts“. Nahes und Fernes, groß und klein sind ihm eins und durchdringen sich, wie es beispielhaft das letzte Gedicht der Marggraf-Sammlung zeigt, das deshalb auch hier am Schluß stehen möge: Auf der Pont-des-Arts 
	Der Stein auf dem Fenstersims 
	Auch wir wüßten gerne mehr, nicht wahr? 
	und die Augenblicke, in denen die Erkenntnis 
	angesichts der Krümmung des Raumes. 
	Ob sie immer Zeit war oder nicht doch 
	Und die Radioastronomie, der Jazz 
 
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