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Im
Kehlgang
Johann P. Tammen Gedichte mit zwei
Radierungen von Peter Marggraf
Hans-Jürgen Heise
Alles an seinem Platz.“ Mit diesen Worten
schließt Johann P. Tammens exquisiter Gedichtband „Im Kehlgang“‚ eine mit
zwei Radierungen von Peter Marggraf ausgestattete Abbreviatur von zwölf
Texten, die aus verschiedenen Zeiten und Schaffenszusammenhängen stammen,
aber durch die Persönlichkeit und das künstlerische Naturell ihres
Verfassers von überzeugender Geschlossenheit sind.
Tammen, langjähriger Herausgeber der
Literaturzeitschrift „die horen“ und Begründer der Buchreihe „edition die
horen“ mit Sammlungen der zeitgenössischen europäischen Poesie, ist einer
der zurückhaltendsten deutschen Gegenwartsschriftsteller, der sich mit
Bedacht und Verantwortungsgefühl auf dem publizistischen Terrain bewegt. Die
Moden, die er kommen und gehen sieht, verstärken gewißt noch seine
Veranlagung, nur das zu Papier zu bringen und Buch werden zu lassen, was
seinem Temperament und seiner inneren Gangart entspricht: „... vorwärts /
zurück verharrend beharrend ...“
Dieser selbstverordnete Imperativ ist in allen
Gedichten Tammens spürbar, auch in den Arbeiten seines neuesten Bandes, in
dem sich die Sprach-Silhouette “kartographierte Silbenreiche“ findet. Bei
Tammen beherrscht kein ausdrückliches Ich die Szene, doch ist durchweg ein
kohärenter Erlebniskern spürbar, eine lebendige Kraft, die das beredte
Schweigen der Dinge und die Vorsprachlichkeit eigener Realitätswahrnehmungen
in ein Idiom vorsichtig tastender Worte übersetzt, die - in der Verszeile
oft kleine typographische Lücken hinterlassend - der psychischen
Verhaltenheit Ausdruck geben, die sich einstellt angesichts der Widersprüche
der Welt. Tammens
Gedichte haben durchaus etwas Haptisches. Aber sie begnügen sich nicht mit
flüchtiger sensorischer Kontaktaufnahme. Vielmehr geraten sie nach dem
ersten offenkundigen Eindruck in einen Zustand zweifelnder Befangenheit, der
noch die sichersten Wahrnehmungen relativiert, doppelbödig werden läßt:
“Noch immer ist das Meer da das Meer ist / immerdar nur die Entdecker
gespenstern / herum...“ Bei Tammen, der sich der Naturnahe fühlt, aber alles
andere als ein Naturlyriker im Sinne teutscher Behäbigkeit und Gefühligkeit
ist, ist stets die „Ahnung Tod“ mitzugegen. Das gibt seinen Versen ein
Gütesiegel, das von vornherein allen auf Innovation eingeschworenen
Kritikern Verdikte wie ’idyllisch‘ oder ‘archaisch‘ zur stumpfen Waffe
werden läßt. Der
assoziative Fragmentarismus Johann P. Tammens macht die Existenz
durchsichtig auf ihre Fragilität, aber auch auf die Haltbarkeit ihres
seinshaften Grundgewirks, das andere Zeiträume als unsere geschichtlichen
Intermezzi kennt: “Das Klirren der Mineralien / im Jahrmillionengepäck...“
Diese Gedichte kommen ohne den Ballast
textintegrierter Poetik aus, ohne postmoderne, konstruktivistische oder
dekonstruktivistische Gebrauchsanweisungen. Tammens Arbeiten sagen aus, was
der Dichter zu sagen hat, Surreales wie “Hochbeinige Pferde vor der Kandarre
/ geflohen umrunden die Kirchturmspitze ...“ oder Luftig-Lustiges wie
“Windkasper rütteln das Laub ...“
Die Vers-Quanten, aus denen Tammen seine im
Deutschen singulären Gebilde zusammensetzt, könnte man als ‘Tropismen‘
bezeichnen, nicht nur, weil sie an die seelisch-geistige
Strahlkrafterinnern, die von den Wörtern und Sätzen Nathalie Sarrautes
ausgeht ...auch, weil sie, wie diese, mit Phänomenen der Biologie zu tun
haben. Tropismen sind ja eigentlich Orientierungsbemühungen festgewachsener
Pflanzen, die sich gleichwohl (trópos, griechisch = Wendung, Hinwendung)
geringfügig bewegenorientiert an reizauslösenden Verursachern wie Licht,
Schwerkraft, Wasser, Gas.
Auch die Tropismen Tammens ziehen sich an und
stoßen sich ab. Sie führen ein langsames, quasi regloses Dasein und haben
jedenfalls nicht teil am ‘rasenden Stillstand‘ der Moderne, den sie fast
ignorieren, in dieser jüngsten Publikation ebenso wie in den vorangegangenen
Bänden „Hortmachers Launen“ (1994), „Lahnungen“ (1998) und
„Wetterpapiere“(1998).
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