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Frank - M. Raddatz Westliche Hymnen
"Sterne, Staub" ist die
Publikation der vierzehn Gedichte Malte Ludwigs benannt - ein Titel, der den
Bogen weit spannt zwischen fernen Ewigkeiten und nah(end)er Vergänglichkeit
und damit zugleich eine Spur vorgibt durch die Schächte und unterirdischen
Gänge dieser vielschichtigen Lyrik. Die dem ersten Text >überfluss<
vorangestellte Sentenz "beim schein der untergehenden sonne/ schlagen die
menschen entweder/ auf töpfe & singen/ oder sie seufzen laut/ über das
nahende alter" lässt das Grundmotiv irdisch anklingen und veranschaulicht
die beiden möglichen Haltungen zu den Extremen menschlichen Seins: den
Untergang entweder zu feiern oder ihn zu bejammern. Die Alternative ein
"traum, in dem der himmel für alle zeiten klar bleibt.", wie eine Zeile aus
Gedicht II lautet. Doch alles Glück ist flüchtig wie der Augenblick. "schau
jene wolken, im kern so schwer und dunkel/ die ränder weiß und klar und
ausgerissen. Im schönsten Licht. Und ausgekühlt darunter. Und wie leer."
(III stiftung). Fast schüchtern meldet in diesen entzauberten gottlosen
Landschaften das metaphysische Bedürfnis seine Wünsche an: "die alten götter
betrübt/ doch sprächen sie endlich/.../ jeder satz wollte kristall sein/ und
wurde gelall gerassel." Die Sprache der Himmlischen reinstes Kauderwelsch.
Das Universum seines Imaginären beraubt wie bei Beckett. Mechanisch ziehen
die Planeten im Zuge der ewigen Wiederkehr des Gleichen ihre Bahn: "und
immer wieder die eine Kugel um die andere" (II). Andere Erfüllung offeriert
die Erde: in Form der Liebe. Doch auch sie kann dem Tod nicht trotzen:
"geliebte/ welche krankheit werden wir uns finden" (VIII). So sind der
Bedrohungen viele. Sie nahen von innen und außen, kommen aus morgen und
gestern. "und als ich ihren ausgeleerten/ körper umfasste spürte ich schon/
ihren strick eingeflochten/ so schwer hing sie an mir herunter"(VII
geschlossene). Dem Fragilen der privaten Utopien korrespondiert das Ende der
kollektiven. Mit den sozialen Utopien verließen über die eigene Endlichkeit
und individuelle Begrenztheit hinausgreifende Sinngebungen die Epoche:
"geschichte geschiebe gerede für kurze Zeit" (IX schule von barbizon).
Geschichte bildet in dieser Lesart keinen Zusammenhang nicht ausgeschöpfter
Antworten sondern ein gescheitertes, auf Zukunft fixiertes Projekt der
Erlösung. Was bleibt ist bar aller Verdrängung, ein von Illusionen
entkleideter Horizont, innerhalb dessen ungehindert der Tod mit dem Haupt
der Medusa gewaffnet, die Welt regiert wie der Antichrist, ohne dass die
natürliche Kraft allseitiger Erneuerung ihn überwältigt: "zweige der
wirklichkeit/ graue tote pflanze auf erodierten Grund/ ein sogenannter
frühling" (IX). Das Bewusstsein des Todes lässt nicht nur das Leben
versteinern. "selbst die bäume starr. selbst/.../ das feuer gips. Der himmel
nüchtern" (XIII nicolas poussin, pan mit syrinx), sondern drückt auch noch
der Metamorphose der Natur und der Elemente in der Kunst seinen Stempel auf.
>Fin de partie<, könnte man denken, tauchte in diesen Texten, welche Silbe
für Silbe die Verheißungen der europäischen Kultur auf einen
zukunftsweisenden Gehalt abklopfen und verwerfen, nicht unvermutet, wenn
auch nur für Momente, ein Fluchtpunkt auf. Im Selbstgespräch mit dem eigenen
Schatten wird ein jenseitiges Zentrum präsent: "seine antworten dachte ich/
waren falsch wie meine fragen/ zusammen wären sie wahr gewesen" (XIV).
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