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WAS KOMMEN WIRD
Gerd Kolter
Der
Autor hat diese Gedichte einem lange vergriffenen Gedichtband von 1978
entnommen, leicht überarbeitet und legt sie nun in dieser bibliophilen
Ausgabe erneut vor. Er hat gut daran getan, denn sie beweisen ihre
ungebrochene thematische und literarische Aktualität. Schon beim flüchtigen
Blick fallen die bei H.G. Bulla scheinbar ungewohnten Langzeilen mit
ausgeprägten Satzgefügen auf. Sie verklammern den Text, lösen das Auge des
Lesers von der Konzentration auf einzelne Wörter und nehmen ihn hinein in
eine drängende Bewegung zum Ende hin, forciert noch durch gelegentliche
Zeilenbrüche mitten im Wort. Vor dem bloßen Treiben lassen aber schützt
jenes Sich-Vergewissern, das zum Verstehen nötig ist, weil oft Satzzeichen
fehlen und Satzteile doppelt beziehbar sind oder scheinen. Und das ist
schließlich auch die Gedankenbewegung dieser Gedichte selbst, die - einem
Ziel zutreibend - immer wieder auch innehalten, reflektieren: "wie
rechtfertigen wir nun unser Zögern vor dem nächsten / Aufbruch weil sich aus
den Anfängen allein nicht das Fol- / gende ergibt nicht die Bewegung nicht
die Ankunft ist es das / was also läßt uns wieder stehnbleiben nicht einmal
auf halbem / Weg..."
Eine solche reflektorische Brechung ist
durchgängiges Kennzeichen dieser Gedichte. So erscheint etwa die Natur über
ein Bild an der Wand vermittelt: "Diese Landschaft, hast du sie tatsächlich
// so gesehen oder gibt es sie nur in deinem / Kopf. Aber was ist schon der
Unterschied". Dieses Rücken in die Distanz bewahrt nicht nur vor
oberflächlichem Impressionismus oder beliebiger Alltagslyrik, sie ist,
positiv gewendet, notwendige Voraussetzung einer originären Sichtweise, die
durch das Brennglas den Dingen nahe kommt. Das Struktur- prinzip der
Brechung erlaubt aber auch fragile menschliche Beziehungen zu spiegeln,
Anziehung und Trennung, auch scharfe Schnitte in Bild und Sprachduktus
hineinzunehmen: "als ob der Spiegel zwei Seiten / hätte in dem wir uns
gesehen haben aber auf seiner / Seite geblieben ist doch ein jeder...".
Solche Trennungen und Verbindungen provozieren verständlicherweise ab und an
den Wunsch nach einer "einfache(n) Festigkeit" - gegen Verletzungen, gegen
ungeschützte Augenblicke", aber Grundthema bleiben die Irritationen,
Gefährdungen, Verwundungen. In die Gedanken eingeschlossen sind immer auch
"Erinnerungslandschaften", nicht nur in der unvermittelten Erfahrung eines
Verlusts von Nähe, sondern als Vergewisserung der eigenen Biografie. Für
H.G. Bulla sind solche Rückblicke immer wichtig gewesen, nicht umsonst trägt
ein Band von ihm den Titel "Kindheit und Kreide".
Er begreift dabei
Kindheit als Ausgangsort für das, "was kommen wird", keineswegs als bloßes
Idyll der Unschuld, nach dem man sich später verklärend zurücksehnt. Dennoch
bleiben die positiven Eindrücke vorherrschend, was sich schon an der
intensiven Vielfalt verschiedenster Wahrnehmungen zeigt, die in der
Erinnerung oder Wiederbegegnung lebendig werden. Das Auge hat dabei aber
immer Vorrang, und manche Gedichte bauen sich in starken Farbkontrasten fast
wie Gemälde auf: "gelb ist der Kiesweg den mein Vater langsam entlangkommt
(...) / jetzt schließt / er die Tür des Schuppens im Gewitter stehen dann
die / alten Nußbäume blitzweiß vor dem dunklen Haus". Auswahl und
Kompositionstechnik setzen dabei bewußte Markierungspunkte und vermeiden die
bloße Deskription bzw. Reproduzierung von Alltäglichkeiten. Peter Marggrafs
beigelegte Originalradierung mit dem Titel "rückwärtsgehen" setzt die
Gedankenbewegung der "Erinnerungslandschaften" ins Bildnerische um: ein
männlicher Akt, von hinten betrachtet, den Kopf zur Seite geneigt.
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