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Edle Buchdruckkunst mit spirituellem Anspruch
Auf den Berg der Läuterung mit Maß: Ein leicht gekreuztes Nicken

Franziska Röchter

Seit 22 Jahren entstehen in Peter Marggrafs San Marco Handpresse außergewöhnliche Druckerzeugnisse von höchster Qualität und großem künstlerischem Anspruch. Möchte man sich auf einen Band, auf einen „handgedruckten“ Dichter, konzentrieren, ist es zunächst schwer möglich, sich ausschließlich auf die Texte zu fokussieren, immer schwingt die Exklusivität der Veröffentlichung, die Spekulation über den wahren Wert, die Wertigkeit einer solch stark limitierten (lediglich 24 Originale in diesem Fall!) und durchnummerierten Auflage im Hintergrund mit. So sind die handverlesenen, von Hand in Bleisatz und auf einem Handtiegel gedruckten und fadengeheftete Texte zeitgenössischer Autoren wie z.B. Hugo Dittberner, Hans Georg Bulla, Peter Gosse oder Rolf Birkholz in bester Gesellschaft zwischen Rilke, Kafka, Beckett, Büchner und Bachmann angesiedelt.
In Rolf Birkholz’ Band befindet sich eine Originalgrafik des Bildenden Künstlers, gedruckt auf 300 g/qm Kupferdruck-Bütten, während die Gedichte auf 150 g/qm Bütten gedruckt wurden. Einen bildreichen Eindruck zum Vorgang dieses seit der Einführung des Fotosatzes und im digitalen Zeitalter kaum noch existierenden Kunsthandwerks des Buchdrucks auf historischen Maschinen kann man auf den Seite der San Marco Handpresse gewinnen.
Der norddeutsche Bildhauer, Zeichner, Radierer und Büchermacher Peter Marggraf hat offenkundig eine ganz besondere Beziehung zu La Serenissima. Seit 1968 hält er sich regelmäßig jährlich in der Lagunenstadt auf, um ungestört arbeiten zu können, ja, er sucht mittlerweile sogar ein dauerhaftes Atelier dort und für sein Venedigprojekt Förderer, denen im Falle des Erfolgs reizvolle Vergünstigungen in Aussicht stehen.
Man kann sich eben verlieren und finden in dieser im Wasser stehenden melancholischen Stadt, und Marggrafs Faible für Venedig spiegelt sich auch in etlichen Titeln der von ihm gesetzten Prosa- oder Lyrikbände wieder, wie z.B. „Venedig hieß es“, Gedichte von Anna Maria Carpi, oder „Spätherbst in Venedig“, Gedichte von Rainer Maria Rilke, „Der Traum von Venedig“, Gedichte von Theodor Däubler und „Der Tod in Venedig“, Roman von Thomas Mann mit eingedruckten Holzschnitten.
Was haben nun Rolf Birkholz’ Texte möglicherweise mit diesem über der Stadt schwebenden Trauerflor zu tun, worüber schreibt der Lyriker und in Ostwestfalen sehr bekannte Kulturrezensent, der neben Philosophie auch Theologie studiert hat, in seinen 17 Gedichten, die dem Band den Titel „Ein leicht gekreuztes Nicken“ eingebracht haben?
Mit rund 23 x 29 cm hat der Gedichtband ohne ISBN-Nummer ein stolzes Maß, ein Petrolblau für den Schutzumschlag ummantelt ein elegantes Burgunder auf glattem Karton, der haptische Druck der violettfarbigen Titel-Buchstaben fühlt sich authentischer an als jedes 3D-Cover einer modernen Großdruckerei. Violett (oder doch eher Lila?), die Farbe des Geistes und der Spiritualität, eine Synthese aus Rot- und Blautönen, besitzt in der christlichen Kirche eine besondere Bedeutung. Es ist die Farbe der Inspiration und Transformation, eine außergewöhnliche und widersprüchliche Farbe, die auch mit Frömmigkeit, Buße und Opferbereitschaft in Verbindung gebracht wird. Nicht nur Peter Marggraf hat eine besondere Beziehung zum Kreuz (s. z.B. seine Arbeit „crucifige, crucifige eum!“ – „Er, so Marggraf, möchte wie viele seiner Generation dem Leidenden eine Stimme geben. Dies versuche er durch seine Plastiken und seine Zeichnungen.“ – so ist auf den Seiten der Citykirche Sankt Michael des Bistums Hildesheim zu erfahren. Auch Rolf Birkholz bedichtet schon länger Ausdrücke christlicher Symbolik, wie man z.B. der „Schreibwerkstatt“, eine die Arbeit Marggrafs einmal jährlich begleitende Werkstattzeitschrift San Marco Handpresse, Berichte aus der Werkstatt (hier: 2016) entnehmen kann. So ist es durchaus schlüssig, daß das Wort Kreuz im Titel enthalten ist.
Ob es sich um den beschämenden Vorgang des Beichtens handelt (Gott ist Rot), um die Ehrerbietung beim Vorbeifahren an „Bildstöcken“ (Griechisch-Römisch, das titelgebende Gedicht), die am Lenkrad oftmals nur ein „leicht gekreuztes Nicken“ statt eines manuellen Kreuzzeichens wird, ob Bestattungsrituale (das Kreuz zum „Hoffnungshorizont“ heben in Über Land) bedichtet werden, die wundervolle Natur im Goldenen Oktober, Karfreitagsfürbitten oder die kirchliche Kollekte eines Kindes (Dreikäsehoch, drei Körbe): Theologische Betrachtungen stehen im Vordergrund dieser Gedichtauswahl, die einem Rätsel über den Entstehungszeitpunkt der Texte aufgibt, zumal sich Rolf Birkholz hier einer älteren Variante der Orthographie bedient, (z.B. kompromißbereit, bewußt, vergißt) bedient, was aber durchaus zum Kunsthandwerklichen dieses handgedruckten Buches paßt.
Ließ sich Birkholz während seiner Studienjahre noch stark von Paul Celan inspirieren, so widmet er ihm nun eigene Verse:
Die Amsel, der Antschel, / der Antschelan raschelt / zuerst ein Gedicht …
(aus: Dein Traum ist zu klein)
Etliche Texte von Rolf Birkholz kommen mit nur 6 oder 8 Zeilen aus, sind hochkomprimierte Momentaufnahmen, die speziell in diesem Band durchaus rhythmisch wirken, hier und da entstehen beiläufig wirkende Reime, die bei genauerem Hinsehen durchkomponiert sind (in Helden tun oder Waldzeit), andere Gedichte wiederum wirken auch als freie Verse ebenso melodisch.
Das letzte der 17 Gedichte im Band, Bergprüfung, Sonntagmorgen, stellt in stark konzentrierter, rasanter Form („Die Tempofahrt zum Tempel“) einen Schnelldurchlauf durch eines der größten und zeitlosesten Werke der Weltliteratur dar. Der Berg der Tugend, der Läuterungsberg, kann nur durch allerlei Buße (hier das Schüren des Purgatorio, das Fegen des Feuers, durch die „Trägen“) erklommen werden, den allzu Eiligen (den Maßlosen), werden durch staatliche Ordnungshüter Punkte („Jenseitsmeilen“) aufgedrückt – lediglich „maßvolles Wägen“ führt zum Ziel, zum Paradies.
Abgerundet wird dieser kunsthandwerkliche Band durch eine Originalradierung Peter Marggrafs, die man mit den Worten Hans Georg Bullas anläßlich seiner Rede zur Eröffnung von Peter Marggrafs Ausstellung „Als Bildhauer zeichnend“ in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover beschreiben kann: „Keine perfekten, oberflächlich virtuosen Zeichnungen also, sondern gestisch und spontan; und keine Illustrationen, thesenhafte Bebilderung eines abzuarbeitenden Programms.“, sondern „parallele Angebote in einem anderen Medium.“ Der hier erkennbare, m. E. als schlafend, leidend und unfertig dargestellte Mensch erreicht immerhin ein Stück Aufrichtigkeit seiner Gestalt und kommt so seiner Vervollkommnung ein Stück weit näher.


Franziska Röchter, wurde 1959 als Österreicherin im Weserbergland geboren, studierte in Paderborn und Nottingham und lebt als freie Autorin und Verlegerin in Verl (NRW). Sie schreibt Lyrik, (Kurz)prosa und Slam Poetry sowie kulturjournalistische Beiträge. Ihre Gedichte erscheinen in bekannten Poesieorganen. Mehrere eigene Lyrikbände sowie eine Poesie-CD. Seit 2012 verlegt sie in ihrem chiliverlag Lyrik und Prosa bekannter und unbekannter Autoren sowie interessante Sachthemen. 2015 wurde sie in den Vorstand der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V. gewählt. Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.

 

 Das Buch Ein leicht gekreuztes Nicken mit Gedichten von Rolf Birkholz und einer Radierung von Peter Marggraf finden Sie hier 

 

 

 

 

 

 

 

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