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Dunkle Sonne der Aufklärung
Peter Marggrafs Radierzyklus „Fieber – Francisco Goyas Hölle“

 

     
             
     
             
Fieber - Francisco Goyas Hölle. Ein Radierzyklus aus dem Buch "Seit ein Gespräch wir sind".


 
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Michael Stoeber

Der belgische Künstler Pierre Alé-chinsky, Mitglied der Gruppe Cobra, hat vor Jahren ein interessantes Experiment durchgeführt. Er fertigte eine Reihe von Bildern, die er Bekannten und Freunden zur Titeltaufe vorlegte. Er sammelte die unterschiedlichen Titel, die er auf diese Weise erhielt, stellte sie neben seine Bilder und gab das Ganze als Buch heraus, das er „Test du titre“ (Titeltest) nannte. Das Ergebnis war insofern erhellend, als die Titel mehr über die Täufer denn über die Werke des Künstlers aussagten. Genau das bestätigte mir Aléchinsky in einem Gespräch, das ich damals mit ihm über sein Werk führte: „Chacun s´est révélé par son titre.“ (Jeder hat durch seinen Titel etwas von sich preisgegeben.)
Ganz ähnlich – so hat der kundige Leser den Eindruck – geht es in dem neuen Buch zu, dass der Künstler, Buchgestalter und Buchdrucker Peter Marggraf, assistiert von Hans Georg Bulla, in seiner „San Marco Handpresse“ herausgegeben hat. In gediegener handwerklicher Manier, wie üblich die Lettern aus Blei von Hand gesetzt und auf Bütten gedruckt, ist es einmal mehr ein bibliophiles Sammlerstück geworden wie so viele Bücher vor ihm, die Marggraf ediert hat. Unter dem Titel „Seit ein Gespräch wir sind“ versammelt es Gedichte von acht Autoren. Gedichte, die jeweils die anderen aus dem Gesamtoeuvre jedes einzelnen Dichters ausgesucht haben. Wir finden also logischerweise sieben Gedichte zu jedem Autor. Und, vertraut mit der Materie, konstatieren wir, daß jeder durch seine Wahl etwas von sich preisgibt. Daß die Wahl von den Gefühlen und Vorlieben, Ideen und Idiosynkrasien des Wählenden mindesten so sehr spricht wie vom Werk des Künstlers.
Das trifft nicht minder auf die Radierungen (Aquatinta) von Peter Marggraf zu – ja noch sehr viel deutlicher, weil es hier nicht um Wahl, sondern um Aneignung geht. Marggraf hat sich bei seinen Werken von den Radierungen Francisco de Goyas anregen lassen, vor allem von den Blättern aus seiner berühmten Radierserie der „Caprichos“, mit denen der spanische Künstler ein ebenso eindringliches wie schonungsloses Sittenbild seiner Zeit zeichnet. Er attackiert in ihnen Torheiten und Laster, Brutalität und Grausamkeit der Menschen und die Mißstände der Inquistion. Später bezeugt er die Schrecken des Krieges, als die Truppen Napoleons sein Land besetzen, die Guerilleros – das Wort Guerillakrieg entsteht in jenen Jahren – auf jede Repression mit einem neuen Vergeltungsschlag antworten und die Schraube der Gewalt sich immer schneller dreht. Grund genug für den Maler, an der Güte des Menschen zu zweifeln wie an seinem Verstand und an der Existenz eines Sinn stiftenden Gottes. Die späten „Pinturas Negras“, die schwarzen Gemälde, sind extremer Ausdruck des Leidens des Künstlers an seiner Zeit.
Marggrafs Bilder mit dem Titel „Fieber – Francisco Goyas Hölle“ haben dem gegenüber eine ganz andere Faktur. Er behält zwar die Motive, auch die Titel der Blätter von Goya, für seine eigenen Arbeiten bei, aber sie verändern sich, bekommen eine andere Temperatur und ein anderes Temperament. Der detaillierte Realismus der Bilder von Goya macht einem eher abstrakten Essentialismus Platz. Das geht oft bis zu einer gänzlichen Umdeutung der Blätter. Wer die Goya-Vorbilder nicht kennt, wird sich leicht auf völlig andere Sichtweisen einlassen können. So ist das berühmte Goya-Blatt „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ in der Marggraf-Fassung nicht mehr der alptraumhafte Ansturm des Bösen. Nicht die Überwältigung des Menschen durch die Mächte der Finsternis. Keine Invasion von Außen. Sondern in Marggrafs Blatt legt sich das Monster mit ausgebreiteten Schwingen fast brüderlich, ja, schutzengelhaft, über den schlafenden Menschen. Es wird zum Teil von ihm, so wie das Böse schon immer gleich dem Guten Teil eines jedes Menschen ist. Die schwarze Sonne scheint neben dem hellen Licht der Aufklärung.
Und Tantalus, der den Göttern Nektar und Ambrosia stahl, also das Geheimnis der Unsterblichkeit, und zur Strafe für seinen aufrührerischen Mut von ihnen dazu bestraft wurde, seine berühmten Qualen zu leiden – wenn er trinken wollte, wich das Wasser zurück, wollte er essen, die Trauben – ruht auf dem Blatt von Peter Marggraf wie eine Pietá-Figur, die im Wasser treibt. Gleich einem christlichen Leidenden und Märtyrer muß der Mutige in seinem Schmerz getröstet werden. Die harmonische Gestalt der Blätter des Künstlers wird ganz wesentlich durch die Monochromie bestimmt. Ein schönes dunkles und fluides Blau zeichnet die weichen Konturen der Figuren nach, die Binnenflächen zeigen ein pointillistisch aufgehelltes Blau. Die Farbe könnte symbolischer nicht sein. Sehnsucht, Spiritualität und Trauer verbinden sich in ihr. Die Trauer darüber, daß die condito humana ist, wie sie ist, und die Sehnsucht danach, sie immer wieder neu zu überwinden.

 

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