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Ein Brief von Peter Gosse
zu den Steinzeichnungen von Peter Marggraf

 

 
 
Zwei Blätter aus der Mappe "Chor der Steine" 2012, 33 x 44 cm, Tempera und Fotografie auf Papier

 

 

Lieber Peter,

wohltuend zu sehen, wie Dich das Entstalten des Steins umtreibt, dessen – sozusagen – Entsteinung. Mich erinnert Dein Bestreben an das Wort von old Strozzi, der vor einem halben Jahrtausend seinem Zeitgenossen Michelangelo, angesichts dessen Marmor-Skulptur „Die Nacht“, diesen schönen Vierzeiler zugedenkt:

Hier diese Nacht, in süßen Schlafes Bann,
Die meißelte ein Engel aus dem Stein.
Und da sie schläft, muß sie lebendig sein –
Du glaubst nicht? Weck sie auf: sie spricht dich an.

Wer, überdies, möchte nicht in das Frohlocken der Maler Signorielli (in Orvieto) und Memberger (in Konstanz) einstimmen, da sie – Hesekiels Worte im Alten Testament mitfühlend – den steinigen (oder schöner: steinichten) Gräbern die Toten abgewinnen: „Ich will Atem in euch bringen, will euch Sehnen geben“. Diese Sehnen lassen das Sehnen, die Sehnsucht aufklingen; und es regt sich denn und rauscht allumher: ein Rauschen von der furiosen Art des Rauschs.

Dies freilich die Antwort Michelangelos an Strozzi:

Schlaf ist mir lieb, doch über alles preise
ich, Stein zu sein. Währt Schande und Zerstören,
nenn ich es Glück: nicht sehen und nicht hören.
Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leise.

Michelangelo wünscht das Stein-Sein herbei – nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen müssen in unerquicklichen Zeiten. (Wer spricht von Siegen – überstehn ist alles, hatte Rilke – übrigens der Nachdichter des Michelangelo-Vierzeilers – gesagt.)
Wie sollte unsereinem dieser Grund nicht einleuchten – heutzutage, da es der Dritt-/Nach-/Umwelt schändlich an den Kragen geht im Würgegriff der mondialen Geldoligarchie. – Indes, es gibt einen anderen Grund, den Stein als Sehnsuchtsort wahrzunehmen (und ich sehe Dein Arbeiten auch von ihm bestimmt, wiewohl Du Dich eher in Metalle und in Tone hineinbegibst). Und dieser Grund heißt: Entzeitlichung, Dingfestmachung, Dauer stiften. Es soll (und wird!) etwas bleiben über die geringe Spanne der Lebenszeit hinaus.

Du weißt, wie sehr ich Dir also weiteres Gelingen wünsche, Peter, beim kunstreichen Entpetrifizieren sowie Petrifizieren:

Dein Vornamens-Vetter

 

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