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Seit ein Gespräch wir sind
Rede zur Ausstellungseröffnung von Plastiken, Zeichnungen und Büchern von Peter Marggraf und zur Buchpremiere im Burghof Rethem (Aller) am 29. März 2009

 

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Hans Georg Bulla

Dies ist hier und heute ein besonderer Anlaß, ein besonderes Datum. Denn es kommt in der Tat nicht so häufig vor, weder in Zeiten wie diesen noch in der Literaturgeschichte, daß sich eine Gruppe von Autoren nach siebzehn Jahren erneut am Ort ihres ersten Treffens zusammenfindet – und das, nachdem sie sich auch in den Jahren dazwischen regelmäßig zu den Jahreszeiten getroffen haben. Poesie und Alltag nennt sich diese Runde, aber heute trifft der zweite Teil des Namens nicht mehr zu – heute ist Sonntag für uns, buchstäblich und, natürlich, im übertragenen Sinn. Es ist ein durchaus sonntägliches Gefühl, das uns alle hier eint – die Premiere eines neuen, gemeinsamen Buchs steht an. Schon für den einzelnen Autor fallen Ostern, Weihnachten und der runde Geburtstag zusammen, wenn er das erste Exemplar seines neuen Buchs in die Hand nehmen kann – das müssen Sie sich jetzt mal acht vorstellen. Sonntäglich ist da noch eine Untertreibung.
Und es ist ein sehr besonderes Buch, das wir in die Hände nehmen können, ein Buch allerdings, das ohne den Büchermacher Peter Marggraf nicht das Licht der Welt erblickt hätte. Und ohne die Unterstützung der Möller-Stiftung in Celle ebenfalls nicht. Ihr sei deshalb herzlich für die Unterstützung gedankt.
Dies sind nun einmal die Grundtatsachen eines Schreiberlebens, die facts of life: Um aus einem Manuskript, an dem der Autor Tag für Tag, nulla dies sine linea, kein Tag ohne eine Zeile, geschrieben hat, ein Buch werden lassen, braucht es den einen oder anderen Geburtshelfer. Wir sind gewohnt, sie als Verleger zu bezeichnen.
Ein sehr besonderer Verleger ist Peter Marggraf, seit mittlerweile dreizehn Jahren geübt in der Hebammenkunst, in seiner San Marco Handpresse besondere Bücher in die Welt zu bringen. Bücher, die man so nicht in jeder Buchhandlung findet, Bücher, die man aber sofort als seine erkennen kann – denn sie zeugen alle von seiner Arbeit, seiner künstlerischen Arbeit des Gestaltens, des Druckens, von seiner Grafik-Kunst. Denn das ist er zuvörderst – ein bildender Künstler.
Deshalb ist es angemessen, daß heute neben dem einen Buch, den anderen Büchern die künstlerischen Arbeiten von Peter Marggraf im Mittelpunkt der Ausstellung stehen. Dank dafür an den Burghof Rethem, das Forum Rethem und die Stadt Rethem, die diese Ausstellung und diese Veranstaltung möglich gemacht haben.
Als Büchermacher, Drucker, Zeichner und Bildhauer können Sie hier und heute Peter Marggraf kennenlernen.
Und ich habe mich lange gefragt, wie ich Ihnen in aller Kürze die Kunst und die Person Peter Marggrafs näher bringen kann, falls Sie nicht schon einmal seinen Arbeiten in einer anderen Ausstellung, seinen Büchern auf der hannöverschen Buchlust begegnet sind.
Gibt es eine Verbindung zwischen all diesen Aktivitäten, gibt es ein Antriebszentrum, das ihn zu diesen, durchaus zeit- und kraft- und gedankenaufwendigen Betätigungen immer wieder nötigt?
Und ich denke ich habe eine Formel gefunden, schließlich kenne ich ihn schon an die zwanzig Jahre, die etwa so lauten könnte: Peter Marggraf ist ein Handarbeiter in allen seinen vier Disziplinen, Handarbeiter im alleranspruchsvollsten Sinn, sage ich gleich dazu.
Denn Begreifen, so heißt es in einem von ihm gedruckten Gedicht, „begreifen – das heißt in den Griff bekommen, das meint die Hände nicht allein den Kopf“.
Er will mit und durch die Arbeit der Hände die Dinge, das Material, den Stoff des Lebens wahrnehmen, er will mit ihnen seine eignen Erfahrungen machen können, er will aus dem, was er in Händen hält, etwas schaffen, etwas erschaffen, etwas Dingliches, für sich allein Einstehendes, das aber Mitteilung macht von den Prozessen seiner Entstehung und dem Grund seiner Existenz.
Peter Marggraf ist Handarbeiter: Er ist als Plastiker, wenn er seine großen Plastiken aus Mangan-Ton modelliert, von denen wir hier zwei Beispiele sehen. Jene Sorte Ton, die so wunderbar anthraziten, eisenguß-grau aus dem Brennofen kommt.
Er ist Handarbeiter, wenn er seine kleinen Plastiken aus Wachs modelliert, gerade so groß, daß er die Masse noch in einer Hand erwärmen und formen kann. Er ist es, wenn er seine Plastiken für den späteren Bronzeguß aufbaut, bedacht darauf, sie nicht in kalter Glätte erstarren zu lassen – sie müssen die Spuren seiner Hand auf Dauer vorzeigen können.
Er ist Handarbeiter, wenn er mit dem dicken Graphitstift auf große Papierbahnen oder in Skizzenmappen zeichnet oder die Acrylfarbe satt aufträgt, auf der Fläche nur die Konturen der Figur gelten läßt. Kein filigranes Virtuosentum wird da zelebriert, das ist gestische Bewegung, Bewegung des Arms, der Hand.
Er ist Handarbeiter, wenn er als Graphiker die Druckplatten bearbeitet, mit Kraft und mit der kalten Nadel, aber er tritt vorsichtig zurück, wenn er die Säure ihr Werk tun läßt.
Er ist Handarbeiter, wenn’s ans Büchermachen geht. Doch nein, er setzt nicht mehr Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort mit der Hand aus dem Kasten. Er hat seit ein paar Jahren seine alte Linotype aus den zwanziger Jahren, die den Bleisatz zeilenweise auswerfen kann (deshalb line of type). Aber auch bei ihr darf er Hand anlegen, selbst wenn er drüber flucht und stöhnt – insgeheim ist er, vermute ich, froh drüber, wenn die Maschine wieder einmal streikt und er schrauben und auseinanderbauen und wieder zusammenbauen muß, was als Ersatzteil schon lange nicht mehr lieferbar ist. Fürsorglichen Umgang mit der Maschine, nennt er das.
Dann aber druckt er, schneidet er die Bögen, bindet er die Bücher, alles mit der Hand. Und das allein, wie ich erfahren mußte in den drangvollen, arbeitsreichen Wochen der Arbeit am jüngsten Buch: Er duldet keine fremde, helfende Hand in seiner Werkstatt – es ist schließlich seine Arbeit, seine Kunst.
Es geht ihm um Ästhetik – im ursprünglichen Wortsinn: aisthesis, griechisch, Wahrnehmung, läßt sich im Lexikon lesen. Es geht ihm um die sinnliche Erfahrung: Wie fühlt sich dieses Papier an, wie jenes; wie riecht dieses Schwarz, wie jenes Blau im Farbtopf, auf der Druckwalze; wie liegt dieses neue Buch endlich in der Hand.
Handarbeit also und dazu die Fixpunkte: Stofflichkeit, Sinnlichkeit, Ästhetik. Und Ästhetik nicht reduziert auf „ästhetisch“ – schön, geschmackvoll, ansprechend.
Ästhetik vielmehr als die manchmal lustvolle, manchmal mühevolle Wahrnehmung und Aneignung von Welt.
Dies alles bliebe dennoch eine hohle, leere Anstrengung, wäre da nicht noch etwas Wesentliches, das heißt: das Wesen von Peter Marggrafs Kunst Ausmachendes, ihre existentielle Ernsthaftigkeit.
Diese Ernsthaftigkeit hat zur Folge wie vertrackterweise gleichfalls zur Voraussetzung, daß er sich in seiner Kunst mit dem Menschen befaßt, mit dem Bild des Menschen, mit seiner Körperlichkeit, seiner Verletzbarkeit, seinem Leiden. Seine Figuren zeigen ihre Wunden, ihre Behinderungen, ihre Deformationen. Es ist kein heiles Bild, es ist ein ums andre Mal ein Torso, ein Bruchstück, nur die Kontur.
Diese Bilder aber als destruktive, entwürdigende zu verstehen, wäre ein Mißverständnis. Peter Marggraf zerstört nicht mit Vorsatz, er findet um sich herum Verstörung, Zerstörung vor, und sieht, wider alle Augenscheinlichkeit, die Würde. Und er möchte, vielleicht wider besseres Wissen, seinen Glauben an das Anders-Mögliche nicht verloren geben.
Mein geschätzter Leipziger Dichterfreund Peter Gosse hat es unlängst in einem Peter Marggraf gewidmeten Gedicht besser als ich hier formuliert: „in seinen Gestalten (nimmt) Gestalt an / Eine Sehnsucht nach Hoffnung“.
Und schließlich und zum Schluß: Im Medium der Literatur sucht Peter Marggraf sich seiner Sicht auf Welt und Leben zu vergewissern. Er sucht und findet Texte, die seiner erfahrenen Wahrnehmung nahe sind, die ihm nahe kommen und ihn in seinem eigenen Tun bestärken können. Und diese Texte setzt und druckt er dann für seine Bücher. Das sind die Gedichte von Trakl, von Rilke, von Ingeborg Bachmann. Oder die Prosa von Büchner und Kafka und Beckett. Das sind seine, mit Verlaub, Hausautoren, die er aufwendig in bibliophilen Editionen herausgegeben hat. Da bräuchte es mehr als eine Vitrine, um auch nur einen Teil dieser Produktion angemessen zu zeigen.
Und nun also Ansull, Bulla, Cott, Dittberner, Kattner, Steffens, Tammen, Taschau. Nicht die schlechteste Gesellschaft, in die wir, Poesie und Alltag, Alltag und Poesie hin oder her, da geraten sind, nicht wahr?
Danke, Peter, für das wunderbare, noble Buch – es ist ein besonderes Buch dank Deiner hingebungsvollen Arbeit.
Aber nicht allein deshalb – denn ein solches Buch hat es bislang nicht gegeben (wenn ich mich irre, möge man mich vom Gegenteil überzeugen): Da wählt jeder der acht Autoren, verbunden in einer literarischen Freundesrunde, aus den Skripten der anderen jeweils ein Gedicht aus, das ihn besonders berührt hat oder ihm besonders gelungen scheint – Freunde lesen Freunde. Es entsteht solcherart eine miteinander vielfach verknüpfte Sammlung von acht mal sieben Gedichten – und die einzelnen der Runde werden sichtbar durch die Auswahl, den Blick der anderen: Seit ein Gespräch wir sind.