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Komm in den totgesagten Park und lies … (und schau …)

 

Peter Piontek

 

Ein Buch beginnt nicht, wenn man es aufschlägt und die erste Textseite liest. Es beginnt, wenn man es aus dem soliden grauen Packpapier schält – es beginnt mit einem Bild. Das gilt jedenfalls für die Bände der Reihe I LIBRI BIANCHI der San Marco Handpresse. Band 38, „Stefan George. Traurige Tänze“, macht da keine Ausnahme.
Das Umschlagbild ist wuchtig und zupackend. Peter Marggraf hat es dem Gedicht „Trauervolle Nacht“ zugeordnet. Das handelt vom Tod. Die „liebe“ ruht von Lichtern umgeben auf der Bahre und ein Du, von dem es heißt „Den tod gab ihr dein wunsch“ macht sich davon, „Nachdem die liebe starb“; wobei die gleich zwei Mal so genannte „liebe“ ja sowohl die Liebe wie auch die Liebste bedeuten kann, beide könnten mithin gestorben sein.
Peter Marggrafs graphische Antwort ist allerdings nicht im stillen Sterbezimmer angesiedelt. Die muskulöse männliche Arme schwingende Figur wirkt eher, als kämpfe sie mit kosmischen Kräften. Ein Lichtstrahl schießt ihr aus dem Auge. Oder fährt ihm womöglich etwas ins Auge und der Dargestellte wütet im Angesicht eines Geschehens, das außerhalb des Bildes liegt? Womöglich, nachdem „die liebe“ starb?
Auf anderen Bildern des Bandes geht es ruhiger zu, die Figuren sind in sich gekehrter, halten die Augen gesenkt, erst im letzten hat die Gestalt den Blick wieder nach oben, ins Weite gerichtet. Es sind, sagen wir es ruhig so: Seelenbilder. Bilder eines Übergangs, von Gestalten angesichts des Unbekannten, das auf sie zukommt, wie häufig bei Peter Marggraf.
Acht Holzschnitte sind es, die der Künstler erst in diesem Jahr geschaffen hat, kleinformatige Arbeiten, die Druckstöcke messen 22 mal 27 cm. Wer Peter Marggrafs graphische Arbeiten kennt, wird nicht überrascht sein. Die formatfüllenden Strichzeichnungen, oft nur angedeutete Umrisse menschlicher Figuren, kehren bei ihm immer wieder, mal skizzen-, mitunter schemenhaft, mal als Frottage oder als Monotypie oder gezeichnet mit Graphit, Pinsel oder Feder. Wie zuletzt in dem Band „LA MORT DER TOD“ mit Gedichten von Charles Baudelaire und einem Zyklus von Zeichnungen, den Peter Marggraf „EIN BOOT BAUEN UND DAS LAND VERLASSEN“ genannt hat. Auch das Bilder des Übergangs. Gleich auf dem Umschlagbild sitzt der Tod mit im Boot. In den neuen Holzschnitten werden die Figuren von wenigen zumeist breiteren, umrahmenden Strichen gehalten, die eine Bewegung, ein abstrakt bleibendes Geschehen andeuten und zusammen mit den sparsam eingesetzten Schraffuren Helligkeit schaffen.
Mit Rilke hat sich er auseinandergesetzt, Trakl gedruckt, Rimbaud und Baudelaire. Peter Marggrafs Club der toten Dichter ist erlesen im mehrfachen Wortsinne und umfaßt vor allem bedeutende Autoren, die gut 50 Jahre vor und nach der vorletzten Jahrhundertwende geschrieben haben. Und nun also George …
Gottfried Benn nannte in seiner „Rede auf Stefan George“ das Eingangsgedicht zu dessen Gedicht-Sammlung „Das Jahr der Seele“ ein „unendlich zartes, stilles Landschaftsgedicht, etwas japanisch, weggewendet von Verfall und Bösem“. Dabei war der frühe George ganz und gar kein Landschafter, Natur interessierte ihn nicht um ihrer selbst willen oder als Spiegel der Seele im romantischen Sinn. Das Buch enthalte weder „Landschaften, gefärbt von einem traurigen oder fröhlichen Gemüt … noch Gemütszustände, vergegenständlicht in Gärten oder Wäldern … sondern eine Seele, die durch Landschaften ihr Sein und Schicksal verwirklicht ... die als Natur erscheint“, so der George-Freund Friedrich Gundolf.
George befreite das Gedicht von allem bloß äußerlich Anerlebten, er entschlackt es und warnte den Leser, der etwa das „menschliche oder landschaftliche urbild“ finden wollte: „es hat durch die kunst solche Umformung erfahren dass es dem schöpfer selber unbedeutend wurde und ein wissen darum für jeden anderen eher verwirrt als löst“ (Vorrede zur zweiten Ausgabe von „Das Jahr der Seele“). Vielfach sind es nur jeweils drei mal vier Zeilen, in denen sich das Drama der Seele abspielt. So bereits im zitierten Eingangsgedicht, dem „Komm in den totgesagten Park und schau“, so aber vor allem im abschließenden Zyklus des Bandes, den 32 Gedichten, die unter dem Titel „Traurige Tänze“ versammelt sind und vielfach im Zeichen von Abschied, Vergänglichkeit und Tod stehen. Diesen Zyklus also hat Peter Marggraf für den 38. Band der I LIBRI BIANCHI ausgewählt – aus einer Seelenverwandtschaft heraus oder weil er hier Motive und Stichworte für seine Bilder fand.
Die Reihe der „weißen Bücher“ fordert den Sammler im Leser heraus, zum einen, weil es hier immer wieder Autorinnen und Autoren zu entdecken gilt, die längst unter den Horizont der allgemeinen Wahrnehmung gerutscht sind, zum anderen, weil man so immer wieder einen ganzen Strauß spannender Graphiken eines unaufhaltsam schaffenden Künstlers ins Haus geschickt bekommt.

 

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